Margarete Stokowski
Wenn der Boden sich auftäte
„Mein tägliches gesichertes Sein verdankte ich Louise. Sie kleidete mich morgens an, zog mich abends aus und schlief nachts im gleichen Zimmer wie ich. Jung, ohne Schönheit und ohne Geheimnis, da sie – so glaubte ich wenigstens – nur dazu da war, über mich und meine Schwester zu wachen, erhob sie niemals die Stimme, niemals schalt sie uns ohne Grund. […] Ihre Gegenwart war für mich notwendig und erschien mir natürlich wie die des Bodens unter meinen Füßen.“
So schreibt Simone de Beauvoir in ihren „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ über Louise, ihr – wie man damals sagte – Kindermädchen. Wenn über Care-Arbeit gesprochen wird, dann oft als eine Form „unsichtbarer Arbeit“: Sie wird erledigt, aber kaum wahrgenommen oder nicht richtig wertgeschätzt, und muss immer wieder neu anfangen, ohne je die angemessene Anerkennung zu erhalten.
Die Rede von Unsichtbarkeit finde ich manchmal etwas unglücklich, auch wenn klar ist, was sie bedeuten soll. Vielleicht ist Beauvoirs Sichtweise da hilfreich, wenn sie die Gegenwart von Louise mit dem Boden unter ihren Füßen vergleicht: Niemand denkt die ganze Zeit an den Boden. Aber alle brauchen ihn und sehen oder fühlen ihn, und laufen oder rollen auf ihm rum – und in den schlimmsten Alpträumen und Horrorszenarien tut er sich auf und man stürzt in ein Loch, und nicht viel anders wäre es, wenn all die Care-Arbeit, die tagtäglich von Menschen geleistet wird, verschwinden würde. Fast hätte ich „unermüdlich“ geschrieben, aber es stimmt nicht: Es macht müde, und es macht noch müder, je weniger zurückkommt.