Gastbeitrag von Dr. Sonja Bastin.

Wochen nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie werden die Stimmen nach einer Aufwertung derjenigen lauter, die gerade “den Laden am Laufen halten”. Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil(S1) sagte kürzlich „Wir sehen gerade unglaublich viele Heldinnen und Helden des Alltags“. Ganz im Sinne des O-Tons vieler anderer Politiker*innen, Praktiker*innen oder Gewerkschafter*innen, strebt er eine Neudefinition des Begriffes ‘Leistungsträger’ an. Die Krise mache sichtbar, welche Tätigkeiten systemrelevant seien, und dass die ausübenden Menschen „nicht nur warme Worte, sondern langfristig auch bessere Löhne“ verdienen. Heil weiter: „Leistungsträger sind nicht nur Krawattenträger, sondern auch diejenigen, die jetzt im Supermarkt an der Kasse sitzen, die in Krankenhäusern Zusatzschichten schieben oder weiterhin unseren Müll entsorgen.“

„Ja“, denke ich, „ja, aber“: Diese Liste übergeht einmal mehr die systemrelevante, leistungstragende Gruppe unserer Gesellschaft überhaupt: die privat Sorgenden. Ihre Arbeit ist keinen Tag lang gesellschaftlich verzichtbar, geht mit großen Entbehrungen einher und ist zudem gänzlich unbezahlt. Immer. Und aktuell erst recht. Soziolog*innen(S2) haben in den vergangenen Wochen, auch international, vermehrt darauf aufmerksam gemacht, dass die derzeitige Situation zu einer Vergrößerung von sozialer und Geschlechterungleichheit führen wird. In öffentlich-rechtlichen Debatten um die Folgen der COVID-19-Pandemie und insbesondere in den aktuell getroffenen Maßnahmen ist dieser Blick jedoch kaum präsent. Insbesondere nicht, wenn es um private Sorgearbeit geht. Sie erfährt noch nicht einmal eine rhetorische Aufwertung geschweige denn eine ökonomische. Und es erfolgt kaum Protest auf der Seite der privat Sorgenden. Warum ist das so?

Wie kann es sein, dass die aufwändig erarbeiteten und austarierten Betreuungs- und Versorgungsnetze aus Kita, Schule, Hort, Babysitter*in, Großeltern, Tagesmutter-/vater und weiteren Mitbetreuenden, von Verpflegung in Einrichtungen und haushaltsnahen Dienstleistungen von heute auf morgen von behördlicher Seite gestrichen werden, ohne dass gleichzeitig Aussichten auf Kompensations- und Unterstützungsangebote gemacht werden? Weder in dem Moment der Maßnahmeverordnung, noch Wochen später. (Stattdessen waren bis vor Kurzem sogar die Elternbeiträge für die Betreuungsplätze zu bezahlen, obwohl die Kinder zu Hause betreut werden mussten). Gerade so, als entstünden aus dem Wegfall des Betreuungs- und Versorgungsnetzes keine massiven Kosten. Als wäre es entbehrliche Zierde statt notwendige Voraussetzung. Notwendige Voraussetzung dafür, dass Eltern erwerbstätig sein können. Und das heißt noch immer primär, damit Mütter erwerbstätig sein können. Bürger*innen wird durch bezahlbare institutionelle Kinderbetreuungsmöglichkeiten und finanzielle Leistungen für Familien vermittelt, dass die Entscheidung für Kinder gesellschaftliche Unterstützung erfährt. Doch wenn es hart auf hart kommt, fällt die Verantwortung dann doch gänzlich und allein auf die Eltern zurück. Selbst wenn die eingeplanten strukturellen Unterstützungen ohne Vorwarnung von heute auf morgen entzogen werden. Der lasche und nicht gesetzlich verbindliche Appell an die Arbeitgeber, Kulanz gegenüber Mitarbeiter*innen mit Kindern zu zeigen, ist da alles andere als ausreichend. Auch vereinzelte Zusicherungen von bezahltem Sonderurlaub für Erziehende kann keine Gleichverteilung der anfallenden Kosten und Risiken bewirken. Sie werden allein von den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten getragen. Nicht von Kinderlosen. Und sie werden eben häufiger von Frauen getragen als von Männern.

In Deutschland leben über 11 Millionen Kinder unter 14 Jahren. Sie sind nun alle zuhause. Auch die gut 800.000 unter Dreijährigen und 2,4 Millionen 3-6-Jährigen, die sonst in Krippen und Kindergärten betreut werden, während der Großteil ihrer Eltern einer Berufstätigkeit nachgeht. Zur, je nach Alter, rund um die Uhr Betreuung und/oder Home Schooling, fällt auf die Familien nun auch eine Unvereinbarkeit mit sonstigen Erledigungen zurück, zu denen Kinder aktuell nicht mehr mitgenommen werden können sowie ein Mehraufwand an Hausarbeit durch kochen und putzen. Über die Konsequenzen, die diese Situation (auch langfristig) für die berufliche Situation aber auch die emotionale Auslastung von Familien, insbesondere Mütter, hat, wird kaum gesprochen. Stattdessen wird fälschlicherweise und verkürzt oft angenommen, dass die nun häufig vorliegenden Home-Office Lösungen adäquate Kompromisse seien. Über die unterschiedliche Bedeutung von Home Office (S3) für Mütter, Väter und Nicht-Eltern wurde ebenfalls bereits vor der Krise geschrieben. Es zeigt sich, dass das fehlt, worauf, an Zuspruch gewinnende, Initiativen wie der Equal Care Day von Almut Schnerring und Sascha Verlan, hinweisen: Ein breites gesellschaftliches Verständnis dafür, dass die berufliche aber unbedingt auch die private Sorgearbeit und ihre Kosten und Erträge sozialstrukturell nicht gleich verteilt sind.

Gerade jetzt, wo so viel darüber gesprochen wird, dass bisher Unterbezahlte nun endlich als Leistungsträger*innen sichtbarer werden und diese Leistung auch finanziell anerkannt werden muss, fühlt es sich nach einer nicht hinnehmbaren Missachtung all der Arbeiten an, die unter- oder unbezahlte Erzieher*innen und Eltern leisten, wenn diese nicht ebenfalls genannt und aufgewertet werden. Müssen Eltern ihre Kinder hungrig, nackt, und verstört auf die Straße stellen, um dann – im Home Office – adäquat ihrer Erwerbsarbeit nachgehen zu können, damit gesehen wird, dass das, was sonst Erzieher*innen und Lehrer*innen leisten, aktuell von Eltern unter großem Zeitaufwand und mit großen beruflichen Kosten – so gut es irgend geht – aufgefangen wird? Pfleger*innen können ihre Arbeitsstellen nicht verlassen, weil sonst niemand da ist. Erzieher*innen und Lehrer*innen können das nur deshalb, weil die Kinder ja ein zu Hause haben. Dadurch verschwindet aber die Leistung nicht, sie wird lediglich ins Private, Unsichtbare verschoben. Was, wenn das Virus anders geartet wäre? Und Kinder weder daran erkranken, noch es weitergeben könnten. KiTas und Schulen also nicht schließen müssten? Dann wären Erzieher*innen zweifellos in allen Kontexten auch als Leistungsträger*innen (in der Krise) genannt worden. So aber ist das Arbeitsministerium nach der aktuellen Logik scheinbar nicht für Kompensationen an die Eltern und eine breite Aufwertung der Erzieherberufe zuständig.

Die Empörung bleibt aus drei Gründen aus: Erstens sind die kostentragenden Eltern, oftmals Frauen, aktuell derart ausgelastet mit der Bewältigung der Situation, dass keine Zeit bleibt, politisch aktiv zu werden. Aktiv, um diesen Missstand anzuklagen bevor massive langfristige Einbußen entstehen, die Personen mit Kindern härter treffen als Kinderlose. Und Frauen im Schnitt härter treffen als Männer. Und zweitens, weil alle Beteiligten mit dem gesellschaftlichen Selbstverständnis aufgewachsen sind, dass das Funktionieren von häuslicher Sorgearbeit unbezahlte Privatsache sei (für die Frauen die Letztverantwortung tragen). Dass öffentlich derzeit nicht einmal eine angemessene ideelle Aufwertung der privaten Sorgearbeit erfolgt, kann ebenfalls der gesellschaftlichen, in den Worten von Paula-Irene Villa Braslavsky, „Fixierung auf Erwerbsarbeit als Form der sozialen Anerkennung“(S4), geschuldet sein. Kann gleichzeitig aber auch so verstanden werden, dass Entscheidungsträger*innen diesen Bereich bewusst außen vorlassen, um die bestehende kapitalistische Verteilungslogik nicht grundsätzlich in Frage stellen zu müssen. An diesem Punkt schließt sich drittens eine weitere gesellschaftliche Norm an: Familienaufgaben seien nicht nur private Verantwortung, sondern vor allem emotionale Erfüllung (insbesondere für Frauen). Über die finanziellen und sozialen Kosten, die mit Hausarbeit und Kindererziehung einhergehen, wird nicht gesprochen. Außerhalb des sozialwissenschaftlichen Kontextes, in dem die Haushaltsökonomie eine gängige Sozialtheorie ist, werden Elternschaft und Familienalltag stark gesellschaftlich romantisiert und gerade dadurch in ihrer Leistung abgewertet. Natürlich bringen viele Aspekte von Elternschaft und Fürsorge ihre eigenen ideellen Belohnungen, und die Zeit mit Kindern zu verbringen, ist für Viele eine zu großen Teilen bereichernde Zeit (das trifft übrigens auf mit Erwerbsarbeit verbrachter Zeit ebenfalls auf Viele zu). Sehr sicher gibt es, gerade jetzt, viele Familien, die in der erzwungenen Aufeinanderfokussierung auch eine Chance zu mehr Gemeinsamkeit sehen, die sonst zu kurz kommt. Das ändert aber nichts daran, dass Erziehung und Pflege von Kindern oder Haushaltstätigkeiten Arbeit ist, die eine Vielzahl von Kompetenzen erfordert und mit großen indirekten und direkten ökonomischen und sozialen Kosten einhergeht. Die nicht gleich verteilt sind. Und ohne die Menschen nicht zu produktiven, gestaltenden und die Volkswirtschaft aufrechterhaltenden Gesellschaftsmitgliedern heranwachsen könnten.

Frauen und vor allem Mütter haben bereits vor der Krise jeden Tag mehr unbezahlte Arbeit geleistet als Männer bzw. Väter.(S5) Und Frauen hatten die größeren langfristigen finanziellen und beruflichen Kosten, die mit dieser Übernahme einhergehen.(S6) Care Gap und Motherhood penalty werden sich durch die Pandemie vergrößern. Belastbare Zahlen zu den tatsächlichen Auswirkungen der Krise auf die häusliche Arbeitsteilung wird es erst in einiger Zeit geben (siehe dazu bspw. die aktuell laufende Umfrage des WZB(S7)). Aber vereinzelte Beobachtungen decken sich aktuell mit dem, was Wissenschaftler*innen vermehrt schon lange für Krisenzeiten vorhersagen(S8) und jetzt, wo auffangende institutionelle Maßnahmen ausbleiben, aller Wahrscheinlichkeit nach, aktuell und durchschnittlich Realität sind bzw. werden: Die anfallenden Kosten werden nicht nur ungleich zwischen Eltern und Kinderlosen aufgeteilt, sondern auch ungleich zwischen Vätern und Müttern in Paarhaushalten. Für die vielen, fast immer weiblichen, Alleinerziehenden stellt sich die Frage nach einer fairen Aufteilung der Mehrbelastung und der Kosten und Risiken mit dem anderen Elternteil zudem leider häufig nicht einmal.

Die Folgen der COVID19-Pandemie treffen nicht alle sozialstrukturellen Gruppen gleichermaßen. Es ist solidarisch und sollte unhinterfragte Selbstverständlichkeit sein, die Alten und Kranken und ihre Angehörigen unter Einsatz großer Anstrengungen zu schützen. Dafür zu sorgen, dass möglichst wenige desaströse Situationen in Krankenhäusern entstehen, in denen sich Menschen entscheiden müssen, wem sie helfen und wem nicht. Doch genauso unhinterfragt sollte es sein, dass jede Anstrengung unternommen wird, um die daraus entstehenden Kosten sozial gleich zu verteilen. Das Krisenmanagement geht darauf kaum ein. Entsprechende Maßnahmen sollen Kosten allenfalls abfedern. Im Falle der Übernahme unbezahlter Sorgemehrarbeit nicht einmal das. Und in jedem Fall dienen sie nicht der Um- und Gleichverteilung. Stattdessen zeichnet sich bereits jetzt eine Verschärfung von sozialer und von Geschlechterungleichheit ab.

Die Krise bietet zu Recht Anlass zu einem seit langem überfälligen Umdenken. Dazu, neu festzulegen, welche Prinzipien von Solidarität unser Miteinander bestimmen sollen und welchen Wert wir welcher gesellschaftlichen Leistung zugedenken und langfristig wie entlohnen und anerkennen wollen. Dazu gehört fundamental zu erkennen, dass diese Gesellschaft nicht nur auf der beruflich nicht abkömmlichen Pflegearbeit basiert. Sondern – noch vor allem anderen – auf der unbezahlten, privaten. Sie verursacht täglich von Einzelnen getragene Kosten. Ihr Produkt wird andernorts von der Gemeinschaft abgerufen und volkswirtschaftlich genutzt. Im Moment mehr denn je. Die Krise macht deutlicher, dass hier seit langem ein Verteilungskonflikt besteht. Diesen langfristig anzugehen ist Teil der größten aktuellen und zukünftigen politischen Herausforderung: Die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Dr. Sonja Bastin

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum ‚Ungleichheit und Sozialpolitik‘ (Uni Bremen) in der Arbeitsgruppe ‚Lebenslauf, Familie und Arbeit‘ sowie aktives Mitglied im Verein klische*esc e.V.