Das Versprechen

Virginia Beach in den 80er Jahren: Edward gibt seinem Vater das Versprechen am Sterbebett, auf die Mutter aufzupassen und immer für sie da zu sein.

Damals war Edward Mitte 40. Dass es eine Lebensaufgabe im doppelten Wortsinn werden würde, war so nicht mitgedacht: Es war eine Aufgabe fürs Leben, ja. Damit verbunden war aber auch das sukzessive Aufgeben der eigenen Lebensbedürfnisse: Erst hat er seine Arbeit als Lithograph und Maler an den Nagel gehängt, dann seine Kontakte zur Außenwelt, dann seine Selbstfürsorge.

Die Mutter wurde schon bald dement. Ein schleichender Prozess, begleitet von kleineren Schlaganfällen und einem zunehmenden Betreuungsbedarf, der Edward zuerst stunden-, dann tageweise beanspruchte und am Ende in eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung überging. So ging das 20 Jahre lang: die Mutter waschen, anziehen, sie bekochen, füttern, sie zur Toilette begleiten, Einlagen wechseln, ins Bett hinein- und herausheben, ihr Aufmerksamkeit schenken, gut zureden, sie trösten, einfach für sie da sein. Er tanzte und lachte mit ihr gegen das Vergessen an und las ihr Geschichten vor, zuletzt aus Mark Twain.

#unversichtbar: Edward

Edward Zingraff, 74 Jahre, Köln
vorgestellt von Ulrike Pfaff

 

Und Edward selbst? Schippte im Winter den Schnee und reinigte im Sommer den Pool für Besucher, die immer seltener wurden. Im Haus führte er ein Leben auf Zehenspitzen, seine Schaltzentrale war der Küchentisch, dort stand sein PC, das Fenster zur Welt. Die älteste Schwester kam regelmäßig vorbei und gab Besorgungen ab und Medikamente. Die jüngere Schwester hatte sich krankheitsbedingt ebenso aus der Verantwortung gezogen wie der ältere Bruder, der, noch gesund zwar und im Ausland lebend, statt Unterstützung schöne Fotos schickte von Landschaften und der Familie. Die Mutter ins Heim zu geben, hätte Edward niemals zugelassen, „das wäre, als würde ich sie vor den Bus werfen“.

Die Mutter wurde 100 Jahre alt.

Danach hat Edward seinen inneren und äußeren Kosmos gewechselt und ist von Amerika nach Deutschland gezogen. Er hat noch einmal geheiratet und lebt mit Frau und Hund am Rhein. Am liebsten sitzt er auf dem Balkon und schaut auf das Leben am Fluss, den Blick nach vorn gerichtet.

#unverSichtbar-Aufruf

Kennen auch Sie eine Person, bei der Sie sich bedanken wollen?

Dann schreiben Sie ein paar Zeilen über sie, holen ihr Einverständnis ein und schicken uns Ihren Text mit einem Foto per E-Mail.
#unverSichtbar-Aufruf