Auszug aus dem Buch Raus aus der Mental Load Falle. Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt von Patricia Cammarata, Beltz Verlag, 2020, S.63-65 und S.75/76

»Ich würde ja schon gerne länger in Elternzeit, aber mein Arbeitgeber sieht das nicht so gerne«

Ich bin an der Stelle wenig verständnisvoll. Denn natürlich freut sich kein Arbeitgeber, wenn Eltern Elternzeit einreichen oder nach Teilzeit fragen. Auch mein sehr fairer und familienfreundlicher Arbeitgeber hat damals nicht gesagt: »Hey, klasse, Patricia! Du bist schwanger? Wir können es kaum erwarten, dass du als Arbeitskraft ausfällst!« oder »Dreißig Stunden die Woche? Na klar. Fehlen uns halt zehn für die Vollzeitstelle. Für diese Lücke findet man zwar niemanden, aber was soll’s …«

Solche Dialoge zwischen Arbeitgeber und Angestellten gibt es nicht. Auch nicht bei Frauen. Das ist lediglich eine Männerfantasie. Es verlangt schon etwas Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen und Einsatz, bestimmte Bedingungen durchzusetzen. Und Frauen kämpfen ihr Recht auf Familie in der Regel eben durch. Sie ertragen es, bei ihrer Karriere zurückzustecken, oder sie suchen sie sich einen neuen, familienfreundlicheren Arbeitgeber. Sie sagen nach der Geburt eines Kindes aber nicht: »Ja, sorry, Schatz, aber mein Arbeitgeber findet es nicht gut, wenn ich in Elternzeit gehe.«

Wie hilfreich für alle wäre es, wenn Väter sich das Recht auf Familienbeteiligung auch öfter erkämpfen würden. Deswegen wäre es strategisch schlau, wenn Frauen und Männer sich in der Arbeitswelt verbünden und gemeinsam für die Rahmenbedingungen kämpfen, die Vereinbarkeit möglich machen: Teilzeit, flexible Arbeitszeiten, Stundenkonten, Homeoffice, eine gute Infrastruktur, eine gute Dokumentation, Transparenz in Sachen Erreichbarkeit, Disziplin in der Meetingkultur, keine Meetings und wichtigen Termine vor 10 und nach 16 Uhr etc.

Ich weiß, dass ich hier vor allem von Bürojobs spreche. Viele Jobs erlauben vieles gar nicht erst. Das ist klar. (Überhaupt ist in vielen Familien die Einkommenssituation gar nicht so, dass man überhaupt darüber sprechen müsste, ob die Frau arbeiten geht oder nicht … sie muss einfach.) Aber da, wo es theoretisch geht, sollten wir uns zusammentun, um für eine verbesserte Vereinbarkeit zu kämpfen.

Am Ende begreifen das übrigens auch viele Arbeitgeber. Vor allem da, wo großer Fachkräftemangel herrscht. Konzepte, die Familie und Job besser miteinander vereinbar machen, sind in den technisch geprägten Branchen immer verbreiteter. Schon vor Jahren war irgendwann klar: Das Gehalt alleine ist nicht der Hebel, warum sich qualifizierte Leute für den einen oder anderen Arbeitgeber entscheiden.

Hewlett Packard Enterprise zum Beispiel reagierte 2019 auf den Fachkräftemangel, indem es Müttern und Vätern bei Geburt oder Adoption eines Kindes eine sechsmonatige Elternzeit bei voller Bezahlung anbietet. Auch SAP ist hier zukunftsweisend in den Rahmenbedingungen für seine Mitarbeiter*innen: »[Die rund 21 000 Mitarbeiter in Deutschland können] fast gänzlich frei entscheiden, wann sie von wo arbeiten. […] Außerdem hat das Unternehmen Krippen- und Kindergartenplätze, Eltern-Kind-Büros und Sonderzahlungen nach der Geburt eines Kindes im Angebot. Ein SAP-Sprecher sagt, die Rückkehrquote der Eltern nach der Elternzeit betrage 100 Prozent.«

Also: Männer in diesen Branchen haben jede Möglichkeit, im Job etwas kürzerzutreten und ihre Partnerinnen gleichzeitig zu motivieren, einen Teil des Financial Loads mitzutragen.

Buch 'Raus aus der Mental Load Falle. Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt' von Patricia Cammarata

Karriere auf Kosten der Kinder?

Weil die Vorstellung »Die Mutter gehört zum Kind« in unserer Gesellschaft so stark ist, fällt es übrigens auch so vielen Frauen heute noch schwer, Karriere zu machen (oder besser: machen zu wollen). Karriere zu machen, bedeutet, den Lebensschwerpunkt auf die Erwerbsarbeit zu legen. Die Rahmenbedingungen sind noch lange nicht so, dass es uns – egal, ob Mann oder Frau – möglich ist, beides, also Familie und Karriere gleichzeitig, haben zu können. Auch Männer können das nicht.

Dennoch gibt es einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen: Männer verzichten zugunsten ihrer Karriere im Zweifelsfall auf eine enge Beziehung zu ihren Kindern, können sich gleichzeitig aber darauf verlassen, dass die Kinder liebevoll umsorgt sind. Und zwar von den Frauen, die ja ohnehin »von Natur aus« zum Kind gehören und deswegen zu Hause bleiben und den Männern den Rücken frei halten.

Umgekehrt ist das nicht so. Frauen, die Karriere machen, müssen sich in der Regel wirklich um die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie kümmern. Sie haben vielleicht Männer, die ihre Karrierebestrebungen unterstützen, das heißt aber in den allerwenigsten Fällen, dass die Männer dann wirklich Hausmänner werden.

Anne-Marie Slaughter, Autorin des Buchs Was noch zu tun ist, schreibt dazu: »Relativ selten ist der Ehemann bereit, zu Hause zu bleiben oder die Hauptelternrolle zu übernehmen, damit seine Frau in ihrem Beruf vorankommen kann«, und beruft sich auf die Studie »Stay-at-Home-Fathers« aus dem Jahr 2013, die an der Universität von Minnesota durchgeführt wurde. Ich habe tatsächlich schon gehört, dass Männer, die Hausmänner sind, in neuer Umgebung gelegentlich mitleidig gefragt werden, ob die Mutter der Kinder gestorben sei. Werden Hausfrauen auch gefragt, ob sie sich um Kinder und Haushalt kümmern, weil der Mann tot ist?

Bestimmte, tief in uns verankerte Glaubenssätze machen es uns allen schwer. Ich glaube nicht, dass es reiner Zufall ist, dass der An- teil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland bei durchschnittlich 29,4 Prozent liegt, während der gleiche Prozentsatz an Männern Elternzeit nimmt.

Versteht ihr den Gedanken? Offenbar sind die Rollenklischees so stark, dass nur ein Drittel der Männer und Frauen sich jeweils traut, auszubrechen. Deswegen ja: Der Glaubenssatz »Die Mutter gehört zum Kind« macht es Frauen in der Tat schwer, loszulassen.