Ein Gastbeitrag von Ina Praetorius.

Wenn ich irgendjemanden auf der Straße frage, was Ökonomie ist, dann wird er oder sie schnell aufs Geld zu sprechen kommen: auf Banken, Konzerne, Aktienkurse oder Lohnverhandlungen. Auf all das also, was man im so genannten „Wirtschaftsteil“ der Zeitung lesen kann.

Als Theologin, die Griechisch gelernt hat, unterbreche ich mein Gegenüber dann aber: Stopp! Ökonomie leitet sich von zwei griechischen Wörtern ab: oikos und nomos. Oikos heisst Haushalt, Nomos heisst Gesetz oder Lehre. Die Oiko-Nomia ist also die Lehre vom guten Haushalten. Und worum geht es beim Haushalten? Darum, dass alle bekommen, was sie zum Leben brauchen. Das steht so auf den ersten Seiten der meisten Lehrbücher der Ökonomie. Zum Beispiel im „Grundwissen Wirtschaft“ von Günter Ashauer (Stuttgart 1973): „Es ist Aufgabe der Wirtschaftslehre zu untersuchen, wie die Mittel zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse am sinnvollsten hergestellt, verteilt und ge- oder verbraucht werden.“

Wenn die Sache so klar ist, warum reden dann Ökonom*innen ungefähr ab Seite 2 ihrer Lehrbücher nur noch von kauf- und verkaufbaren Dingen und lassen die unbezahlte Arbeit weg? Der Grund ist einfach: Unsere Vorfahr*innen lebten in einer patriarchal organisierten Sklav*innenhaltergesellschaft, und wir haben die Denke der Sklaverei in unseren Köpfen bis heute nicht vollständig verabschiedet.

Eine uralte zweigeteilte Ordnung

Einer der prominenten Begründer der Sklaverei war Aristoteles, der einflussreichste Philosoph des Westens. Im vierten Jahrhundert vor der Zeitenwende hat er die Welt in höhere und niedere Sphären aufgeteilt: Der freie männliche Bürger, der sich am liebsten mit Politik, Krieg und Ideologieproduktion beschäftigt, besitzt ein Haus. In diesem Oikos sorgen abhängige Menschen dafür, dass alle bekommen, was sie brauchen. Als abhängig gelten Frauen, Sklav*innen, Kinder, dazu die Haustiere. Bezahlen muss man die nicht, denn sie gehören ja ihren Herren. Ihre Arbeit gilt als Natur.

An dieses grundlegende Abhängigkeitsverhältnis schließt sich eine ganze symbolische Ordnung aus höheren und niedrigen, freien und abhängigen Sphären an: Der Staat verhält sich zum Haushalt wie die Kultur zu Natur, das Sprechen zum Schweigen, der Herrgott zur Welt, hell zu dunkel, wichtig zu unwichtig, Kolonialherr zu Kolonie, Verstand zu Gefühl, Wissen zu Glauben und so weiter.

Einen Ausstieg finden

Es ist nicht einfach, aus dieser Struktur begrifflicher Ehebetten auszusteigen. Deshalb bleiben viele lieber drin liegen. Die ganze wissenschaftliche Ökonomie zum Beispiel beruht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, noch heute auf der antiken Zweiteilung der Welt, also auf der Vorstellung, dass die Erzeugung von Menschen automatisch in Privathaushalten passiert, außerhalb der erhabenen Sphäre, die sich „Wirtschaft“ nennen darf, gesteuert nicht von den vermeintlich notwendigen „finanziellen Anreizen“, sondern von ominösen Prinzipien wie „Mutterliebe“ oder „Fürsorglichkeit“

Allen Schwierigkeiten zum Trotz ist der Ausstieg aus der Zweiteilung heute aber im vollen Gange. Denn wir befinden uns nicht mehr im Patriarchat, sondern im postpatriarchalen Durcheinander: Die Sklaverei ist abgeschafft, die Menschenrechte sind verkündet und zumindest auf dem Papier fast überall anerkannt. Frauen haben aufgehört, abhängig von so genannten „Ernährern“ gratis das Notwendige zu tun, zum Beispiel den diversen Dreck wegzuräumen, den die Geldwirtschaft hinterlässt. Sie sind nicht mehr bereit, die Basisversorgung in Kindergärten, Krankenhäusern und Altersheimen zu Hungerlöhnen zu leisten, denn sie haben erkannt: Weiblichkeit ist keine Naturressource, Frauen wollen in Würde leben. Im Übrigen mehren sich die Anzeichen, dass auch die Natur, also das, woraus wir alle bestehen, das bewusstlose Weiterwirtschaften auf Kosten des gemeinsamen Lebensraumes Welt nicht länger erträgt. Eine Ökonomie, die Care und natürliche Lebensgrundlagen ins Abseits schiebt, erfüllt ihren selbstgesetzten Zweck nicht und muss neu organisiert werden.

Welt neu gestalten im postpatriarchalen Durch/einander

Das Wort „Durcheinander“ kann man auf drei verschiedene Arten verstehen: Normalerweise schreibt man es in einem Wort. Dann bedeutet es Unordnung und löst einen Aufräumreflex aus. Man kann es auch in zwei Wörtern schreiben. Dann gibt es einen Hinweis darauf, wie es weitergehen könnte: Nicht durch Befehle oder Sachzwänge, sondern durch einander finden wir Wege aus dem postpatriarchalen Durcheinander, in das wir nach dem Kollaps der zweigeteilten Welt zum Glück endlich geraten sind. Und schließlich kann man kann das Durcheinander in drei Wörtern schreiben, obwohl das grammatikalisch nicht ganz korrekt ist: Durch ein ANDER. Dann kommt das wieder herein, was mir als abtrünniger Theologin wichtig ist: das Göttliche. Jetzt aber nicht mehr als herrischer Herrgott, sondern als das ANDERE, das uns weiterhilft, wenn wir uns vor lauter Durcheinander nicht mehr auskennen.

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Dr. theol. Ina Praetorius

ist Germanistin und konfessionslose Theologin und lebt in der Schweiz. Sie ist freie Autorin und Referentin und setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass Care-Arbeit in die Mitte der Ökonomie gerückt wird, wo sie hingehört.

Im Dezember 2015 hat sie den Verein WiC Wirtschaft ist Care mitgegründet.

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