Gastbeitrag von Gabriele Winker.

Mit den Debatten um die hohe Bedeutung von Sorgearbeit für ein gutes Leben erreichen feministische Aktivitäten in der breiten Öffentlichkeit derzeit eine große Aufmerksamkeit. Denn viele Menschen, insbesondere Frauen, geraten an die Grenzen ihrer Kräfte. Sie erleben, wie die Anforderungen von Beruf, Haushalt sowie die Sorge für Kinder und unterstützungsbedürftige Erwachsene zu wenig Zeit für Selbstsorge und Muße lassen. Häufig wird dies als individuelles Versagen wahrgenommen. Im Rahmen von Aktivitäten beispielsweise des Netzwerks Care Revolution (www.care-revolution.org) stoßen wir jedoch auf große Resonanz, wenn wir erläutern, dass all diese Entwicklungen die Folge politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen im neoliberalen Kapitalismus darstellen: Durch Privatisierungen und staatliche Kostensenkungen im Gesundheits-, Altenpflege- und Bildungsbereich sowie durch neoliberale familienpolitische Regulierungen entsteht ein Mehr an Sorgearbeit in den Familien bei gleichzeitig erhöhter Erwerbsquote von Frauen und zunehmender beruflicher Arbeitszeitflexibilisierung.

Problem

Und dennoch gelingt es Care-Aktivist_innen bisher noch nicht, rund um Care eine breite soziale Bewegung aufzubauen, die die Nöte und Probleme aller Sorgearbeitenden thematisiert und politische Veränderungen durchsetzt, die nicht bei ein paar zusätzlichen Kita-Plätzen, einigen wenigen zusätzlichen Stellen für Pflegekräfte in Krankenhäusern oder Seniorenheimen stehen bleiben.

Dies hängt auch damit zusammen, dass unsere politische Analyse nach wie vor nicht klar genug ist. Obwohl bereits die Zweite Frauenbewegung in den 1970er Jahren mit aller Deutlichkeit darauf verwiesen hat, dass sich die gesellschaftliche Gestaltung der unentlohnten Hausarbeit grundsätzlich ändern muss, lagen die politischen Schwerpunkte der Frauenbewegung und auch deren Erfolge in den darauf folgenden Jahrzehnten inhaltlich woanders. Es wurde erfolgreich für die Gleichstellung von Frauen in der Bildung und für die Öffnung der Karrierechancen im Beruf gestritten. Mit meist sehr unkonkreten Forderungen nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder dem unverbindlichen Aufruf zur Teilung der Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern blieb die Zuständigkeit für die unbezahlte Sorgearbeit Privatsache und damit größtenteils bei den Frauen.

Was tun?

Gerade jetzt, wo unter den Folgen einer neoliberalen Wirtschafts-, Sozial- und Familienpolitik viele Menschen tagtäglich leiden, benötigen wir eine feministische Perspektive, die sich konsequent gegen eine Gesellschaft wendet, in der es insbesondere für die unentlohnte, aber auch für die entlohne Sorgearbeit viel zu wenig Zeit und Ressourcen gibt. Deswegen setzt sich das Netzwerk Care Revolution für eine solidarische Gesellschaft ein, in der nicht mehr Profit, sondern die Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen im Zentrum steht. Nur so können wir der weiteren Zerstörung sozialer Beziehungen entgegentreten.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss es allerdings gelingen, die unentlohnte Sorgearbeit ins Zentrum feministischer Bewegungen zu stellen. Denn nach wie vor wird sie gesellschaftlich abgewertet und erfährt selbst in sozialen Bewegungen und der kritischen Wissenschaft zu wenig Beachtung. Um diese Abwertung tatsächlich zu durchbrechen, scheint es mir wichtig, in einer zukünftigen Gesellschaft die für den Kapitalismus funktionale Sphärentrennung zwischen entlohnter und unentlohnter Arbeit aufzuheben. Das bedeutet, dass wir die Entlohnung von Arbeit überwinden und Arbeit in ihrer unentlohnten, direkt auf die Befriedigung von Bedürfnissen gerichteten Form verallgemeinern.

All denjenigen, die dies als illusionär betrachten, rate ich, sich die Sorgearbeit in Familien oder Wohngemeinschaften anzuschauen. Denn dort ist heute bereits Realität, was die große Mehrheit der Menschen für den Bereich der Erwerbsarbeit für unmöglich halten: Menschen gehen einer Arbeit, die sie für sinnvoll und befriedigend halten, auch dann nach, wenn sie dafür nicht bezahlt werden. Selbst unter den heutigen völlig unzureichenden Rahmenbedingungen werden in Familien Kinder erzogen, Freund_innen beraten, ältere Menschen unterstützt, kranke Menschen gepflegt oder Menschen in Not aufgenommen. Dies lässt sich auch am Beispiel der jenseits von verwandtschaftlichen Beziehungen aufgebauten Kommunen verdeutlichen. Dort leben Menschen in Gemeinschaften, die beispielsweise rund um ein gemeinsames Haus, ein herzustellendes Produkt oder eine landwirtschaftliche Fläche zusammenarbeiten, sich dafür Regeln geben und häufig nicht darauf achten, wer wie viel arbeitet. Vielmehr stellen sie die Frage, wer benötigt was, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Auch die vielen Menschen, die sich bei der Freiwilligen Feuerwehr oder im Bürger_innen-Verein ihres Stadtteils engagieren, fragen nicht danach, welchen Gegenwert ihre Tätigkeit einbringt.

Diese Arbeit, die Menschen ausführen, weil sie sinnvoll ist, auch wenn sie dafür keinen Lohn erhalten, macht mir Mut. Deswegen plädiere ich dafür, auch bereits heute in Kämpfen um bessere Rahmenbedingungen für Sorgearbeitende Wege in eine Gesellschaft ohne Geld und ohne Tausch mitzudenken. Dann können wir noch klarer dafür argumentieren, die entlohnte Arbeit zurückzudrängen, beispielsweise durch radikale Erwerbsarbeitszeitverkürzung. Wir können auch noch deutlicher gegen das neoliberale Leistungsprinzip argumentieren und für eine Angleichung der Entlohnung über Sockelbeträge bei Tarifrunden und für das Bedingungslose Grundeinkommen eintreten. Diese Agenda ist allerdings anspruchsvoll, da sie über den Kapitalismus hinausweist.

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Dr. Gabriele Winker

ist Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg und Mitbegründerin des Netzwerks Care Revolution.

Ihr Buch „Care Revolution“ ist 2015 im transcript Verlag erschienen.

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