Gleichstellung durch Wertschätzung und faire Verteilung von Care-Arbeit
Vortrag von Dr. Sonja Bastin auf der Veranstaltung „Was heißt schon systemrelevant. Wir SIND das System!“ Veranstaltung zum Frauentag der Friedrich-Ebert-Stiftung
Dieser Text ist das Transkript des live-Online-Vortrags vom 5.3.2021:
Ja, ein herzliches Hallo auch von mir an alle vielen Dank für die Einladung und ich freue mich noch mal die Bedeutung von Wertschätzung und Verteilung von Care-Arbeit für Gleichstellung herauszustellen und auch einige mögliche Wege darzustellen, die sich daraus ergeben.
Dass Gleichstellung tatsächlich deutlicher an der Übernahme von Care-Arbeit hängt als daran, welches Geschlecht wir haben, wird besonders anschaulich durch den Lebenseinkommensunterschied zwischen Müttern und Nicht-Müttern. Denn wir sehen, dass Frauen ohne Kinder „nur“ 13% weniger als Männer über ihr Leben hinweg verdienen. Frauen mit Kindern über 60% weniger, in Westdeutschland. Aber auch in Ostdeutschland ist der Unterschied gravierend. Und die Lücke zwischen Frauen ohne Kinder und Müttern ist heute sogar größer als noch vor zehn Jahren – weil wir eben das Thema Care-Arbeit nicht ausreichend angehen. Die Pandemie dürfte diesen Trend noch verschärfen.
So, woran liegt das? Liegen die Mütter alle faul auf der Couch? Nein –
zählt man Erwerbs- und Sorgarbeitsstunden zusammen, leisten Frauen und Männer etwa gleich viel Arbeit – Frauen etwas mehr – aber sie werden für viel weniger dieser Arbeitszeit bezahlt. Und das liegt eben am Gender Care Gap. In Haushalten mit Kindern leisten Frauen 82% mehr Care Arbeit als Männer. Und in Bezug auf die direkte Care-Arbeit, die am Menschen stattfindet und nicht für Abendmeetings oder Überstunden aufgeschoben werden kann, leisten Mütter sogar mehr als doppelt so viel Care-Arbeit wie Väter, was sich ganz besonders auf erwerbs- und politische Partizipationsmöglichkeiten auswirkt. Und man muss sehen, dass die Lücke ausgerechnet dann besonders groß ist, wenn sich auch im Beruf viel entscheidet: In der sogenannten Rush Hour des Lebens mit Mitte 30. Und: Die Mentale Last des Organisierens, das Letztverantwortlichseins, der Gefühlsarbeit, die es immer erfordert, wenn mit Menschen gearbeitet wird, ist hier noch gar nicht inbegriffen – auch sie wird vor allem von Frauen getragen!
Und es sei auch erwähnt, dass Familienhaushalte mit Kindern insgesamt jede Woche bis zu 15 Stunden mehr arbeiten als Haushalte ohne Kinder – und das obwohl die meisten umfangreich und auf eigene Kosten Erwerbstätigkeit reduzieren. Das klingt alles sehr nach Zeitnot und Belastung und das ist es auch – schon vor der Krise gewesen. 40 Prozent der Eltern litten auch da schon unter Stresssymptomen – es muss sich also die gesamte Gesellschaft mehr beteiligen, statt das Problem nur innerhalb der Familien lösen zu wollen.
Strukturelle Ursachen der ungleichen Verteilung
Die ungleiche Verteilung ist nun keineswegs nur das Ergebnis von freier Entscheidung. Ein Großteil der Paare möchte Sorgearbeit gleicher verteilen zwischen Vätern und Müttern, scheitert dann aber an den Strukturen. Dazu gehören das Ehegattensplitting, nicht ausreichend ausgebaute Kinderbetreuung oder auch – noch immer – vor allem unbewusste aber von Kindesbeinen an – stark wirksame Rollenbilder des Mannes als starkem, tapferem, technikaffinen Ernährer und der Frau als aufopferungsvoller Fürsorgenden – sowohl privat als auch beruflich. Was auch dazu führt, dass Berufssektoren immer dann eine Lohnabwertung erfahren, wenn Frauen eindringen, da ihrem Gehalt nur die Zuverdienerrolle zugewiesen wird. Das Lohngefälle innerhalb von Partnerschaften, speist sich aber auch daraus, dass Frauen auch beruflich häufiger Sorgearbeit leisten und diese viel schlechter bezahlt wird als Arbeit mit vergleichbaren Anforderungen in männlich dominierten Branchen.
Das ist ein Grund, weshalb die Initiative Equal Care Day immer wieder betont, dass zur Lösung des Problems das gesamte Sorgesystem angeschaut werden muss, denn: Weit über 80 % der beruflichen Care-Arbeit in Deutschland wird von Frauen geleistet. 34 % aller berufstätigen Frauen sind im Fürsorgebereich tätig, aber nur 8 % der Männer.
Und auch hier sind die Ausübenden stark belastet durch eine unterdurchschnittliche Entlohnung, durch Arbeitsbedingungen, die es kaum erlauben bis ins Renteneintrittsalter voll erwerbstätig sein zu können und durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse bis hin zur Illegalität.
Strukturelle Ursachen der geringen Wertschätzung
Und Gründe dafür, dass uns aktuell berufliche und private Sorgearbeit so wenig wert ist, liegen in unserem Wirtschaftssystem – das wir selbst so geschaffen haben aber ja aber auch selbst wieder ändern können:
Diese Pyramide von UN Women zeigt gut, wie wir aktuell wirtschaften: Natur und Reproduktion, also Sorgearbeit – und da können wir noch mal einen sehr deutlichen Bezug zum Titel dieser Verasnattlung herstellen: „Wir SIND das System“ – sind für unser Überleben die entscheidende Basis – aber sie werden nicht oder nicht angemessen in den Geld-Kreislauf eingebunden. Dort finden sich nur die Produktions- und Finanzmärkte.
Dem produzierenden Gewerbe entstehen daraus erstmal Gewinne – denn sowohl Umwelt- als auch Care-Ressourcen werden einseitig genutzt anstatt sie angemessen rückzufinanzieren. Die ständige Orientierung am Bruttoinlandsprodukt, bspw. ja auch jetzt in der Pandemie, in dem der Wert aus der unbezahlten und auch der bezahlten Sorgearbeit aber nicht ausreichend abgebildet wird, erhöhen den Druck notgedrungen, was fatal ist, denn wir können Kinder nicht immer schneller erziehen und Kranke nicht immer schneller pflegen. Dass auch in Deutschland dem Markt verstärkt freie Hand gewährt wurde in den vergangenen Jahrzehnten, hat in diesen Bereichen spürbare Konsequenzen gehabt. Entsprechend mahnen auch immer mehr Volkswirtschaftler*innen an, dass es hier andere nachhaltige Lösungen und Wirtschaftslogiken geben muss.
Individuelle und gesamtgesellschaftliche Folgen der Care-Krise
Denn die Care-Krise bedeutet zum Einen große individuelle Folgen. Sorgearbeitende, also insbesondere Mütter, erleben oft starke Abhängigkeiten:
- Armut im Alter
- Armut als Alleinerziehende
- Diskriminierung auf dem Erwerbsmarkt
- Ökonomische Abhängigkeit – auch bei häuslicher Gewalt (physisch, emotional, wirtschaftlich)
- Armut von Kindern
- Dauerstress, Erschöpfung (mit allen Auswirkungen auf Kindeswohl und Partnerschaft)
Aber sie hat zum anderen eben auch gesamtgesellschaftliche Folgen, weil die Einheiten ja wie beschrieben voneinander abhängig sind: Wenn Fallpauschalen zu Gesundheitsrisiken führen, Kinder in Armut oder nicht ausreichend behütet aufwachsen, wenn wir zu wenige Menschen finden, die uns in Einrichtungen oder zu hause gut umsorgen, wenn Menschen immer weniger bereit sind auch Kinder großzuziehen, dann haben wir insgesamt ein großes Problem – und da stecken wir ja tatsächlich schon mitten drin. Stichwort Pflegenotstand oder demografischer Wandel. Und wir werden weiterhin wenige Sorgepersonen, zum Beispiel Mütter in Entscheidungspositionen haben, was ja aber gerade wichtig ist, damit an Stellen, die Strukturen verändern, die entsprechende Sensibilisierung vorhanden ist.
Nun könnte man sagen: Ja, wissen wir alles, wir sind ja dran. Aber: Wie wenig die Dringlichkeit der Care-Krise bisher im politischen Entscheidungsprozess verankert ist, zeigt der Umgang, mit dem Sorgesystem in der Corona – Pandemie gut. Und zwar nicht nur, weil die Pflegekräfte da gerade, wie man so schön sagt, verheizt werden. Auch die privat Sorgearbeitenden werden massiv alleingelassen – zusammen mit Schulen und Kitas – statt strukturell das Problem anzuerkennen. Halbherzige Instrumente wie das Kinderkrankengeld oder die Elternentschädigung schützen Sorgearbeitende nicht ausreichend auf dem enger werdenden Arbeitsmarkt und genügen eben nicht, wie uns Zahlen klar zeigen. Der Stress und der Druck lastet schwer auf den Familien, insbesondere den Müttern und die vielen nicht wahrgenommenen Berufschancen allein im letzten Jahr werden sich noch lange auswirken und in ihrer Dynamik kaum aufzuholen sein.
Auswege und Handlungsmöglichkeiten
Aber um Schlimmeres zu verhindern, ist es ja nie zu spät:
Ich werde kurz einige mögliche Maßnahmen nennen, die ich gerade mit Bezug auf die private Sorgearbeit jetzt in der Pandemie an mehreren Stellen empfohlen habe, viele davon wurden schon lange vor der Pandemie gefordert – im Equal Care Manifest wurden etliche der Forderungen zusammengetragen. Und das Manifest ist übrigens auch noch immer unterzeichenbar.
a. Care-Rat
Es muss ein sichtbares Gremium eingeführt werden, dass mit Blick auf`s Ganze Probleme benennt und transparent Lösungen diskutiert. Während der Pandemie – aber einen Care-Rat braucht es auch grundsätzlich. Dass die Familienministerin zu Beginn nicht mal Teil des Coronakabinetts war, ist das Gegenteil davon.
b. Vereinbarkeit priorisieren
Es braucht Strategien, um Kindern möglichst umfassenden (und sicheren) Zugang zu Einrichtungen zu ermöglichen. Das bedeutet jetzt während der Pandemie vor allem, dass der Infektionsschutz in anderen Gesellschaftsbereichen an der Empfindlichkeit des (auch privaten!) Sorgesystems ausgerichtet werden muss. Weder in KiTas und Grundschulen noch zu Hause kann aufgrund körpernaher Care-Tätigkeiten AHAL eingehalten werden. Und es bedeutet, dass gerade jetzt aber auch sonst in Personal, Räume, Ausstattung, Außenflächennutzung investiert werden muss und haushaltsnahe Dienstleistungen gefördert und allen zugänglich gemacht werden müssen.
Solche Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen sind nicht nur eine Forderung im Equal Care Manifest und Inhalt einer Petition, die wir als Initiative zusammen mit dem Deutschen Hauswirtschaftsrat seit dem 1. März laufen haben, sondern diese Maßnahme ist sogar bereits im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankert.
Und es gibt bewährte Erfahrungen aus dem Ausland und in innerdeutschen Modellprojekten, dass gerade weibliche Erwerbstätigkeit stark unterstützt wird, wenn eben Andere beruflich Kochen und Reinigen und dafür dann angemessen sozialversicherungspflichtig bezahlt werden und man selbst dann Zeit für die eigene Erwerbsarbeit oder Sorgearbeit hat – in Zeiten von Corona z.B. auch für Home-Schooling, wenn es denn nicht anders geht.
Jetzt in der Krise könnte man auch kreativ sein und sagen: Wir unterstützen die Gastronomie, damit sie für Familien ein Mittagstisch-Angebot machen können. Das würde die Gastronomie stärken und wäre gleichzeitig ein wichtiger Schritt, um diese Tätigkeiten zu vergesellschaften und der Privatisierung entgegenzuwirken und ein klares Signal zu setzen, dass wir alle uns an dieser Arbeit beteiligen können und müssen, weil wir alle von ihr abhängig sind. Statt dessen habe ich nicht mal die Familienministerin geschweige denn irgendwen anders etwas sagen hören wie: „Wir müssen nun alle gemeinsam die Familien unterstützen: Bitte bieten Sie Ihren Nachbarn mit Kindern an, Essen zu kochen oder den Einkauf zu erledigen.“ Es wurde immer stehen geblieben bei: „Ja, für die Familien ist es eine Herausforderung“ – statt es eben zur Herausforderung für uns alle zu machen. Und auch Bundesarbeitsminister Heil hat mir im Sommer zugestimmt, dass Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen etwas sind, was er voranbringen will. Auch um sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen. Da lohnt es sich also aus meiner Sicht besonders, Druck aufzubauen.
c. Unvereinbarkeit anerkennen
Es muss viel mehr strukturell anerkannt werden, dass sich Care-Arbeit nicht bis ins Letzte auslagern oder vereinbaren lässt. Dass Care-Arbeitende zusätzlich 40 Stunden arbeiten müssen, um keine Nachteile zu haben, ist ohnehin nicht möglich und ungerecht und wenn das Betreuungssystem pandemiebedingt eingeschränkt ist, erst recht. Deshalb muss Erwerbsarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich an die Sorgeanforderungen angepasst werden. Schließt die Kita früher, ist eben keine Erwerbsarbeit möglich in der Zeit. Und genauso sollte grundsätzlich die 30 Stunden-Woche für alle gelten – zum Beispiel mit zusätzlichen Leistungen für gemeinnützige Tätigkeiten, wie sich um die eigenen Kinder zu kümmern, oder auch Umweltschutz oder Geflüchtetenhilfe. Dann würden sorgearbeitende Eltern auch nicht abgestraft, wenn sie während der Rush Hours des Lebens nicht 40-60 Stunden in der Woche dem Erwerbsmarkt zur Verfügung stehen.
Hier braucht es – im Moment noch – perspektivisch dann irgendwann vielleicht nicht mehr – und gerade jetzt in der Krise weitere strukturelle Sicherheiten:
- einen Sonderkündigungsschutz für Sorgearbeitende weit über die bestehenden Betreuungseinschränkungen hinaus
- Die gesetzliche Verankerung von Care-Arbeit als Diskriminierungsmerkmal (vgl. die Initiative #proparents)
- Angemessene Anerkennung in der Altersrente – von Care-Tätigkeiten besonders während der Pandemie (die Krise als Kohorteneffekt für Menschen, auf die jetzt Sorgearbeit unabgesichert zurückfiel, um die sich kumulierenden Benachteiligungen auszugleichen
- Ein „Care-Budgeting“, also die Kopplung von Unternehmensförderungen daran, dass diese nachweisen, dass sie in den Care-Sektor angemessen reinvestieren.
- Es braucht mehr Anreize zur paritätischen Verteilung, wie eine Erhöhung der Partnermonate und eine Einführung von Vaterschutzzeiten
- Und jetzt in der Krise, weil die Belastungen nachhaltig waren: eine Erhöhung der Urlaubstage für Sorgearbeitende- nicht um sich um andere zu kümmern, sondern tatsächlich für Erholung, für Self-Care.
Durch diese Maßnahmen würde sich der Druck tatsächlich verteilen – auf weitere Bereiche insbesondere auch die Wirtschaft.
Das Equal Care Manifest stellt gut dar, was wir brauchen, nämlich eine zusammenhängende Strategie hinsichtlich der Anerkennung und Umverteilung von Sorgearbeit – die fehlt jetzt in der Pandemie aber auch sonst. Dazu gehört vor allem eine Neubewertung von Berufen. Und es geht eben darum, den Wert dieser Arbeit sichtbar zu machen. Auf vielerlei Weise. Zum Beispiel sollte Sorgearbeit angemessen in volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen einfließen – dies wird schon seit 120 Jahren immer wieder gefordert.
Wandel durch Informierung und Netzwerken
Und zum Sichtbarmachen gehört auch Aufklärung über Geschlechterrollenbilder, über den Wert den Sorgearbeit für uns alle hat und darüber welche Konsequenzen aber aus der bestehenden Situation resultieren – und zwar bereits entlang der gesamten Bildungskette. Denn auch Modellrechnungen weisen darauf hin, dass Normen und Unwissen einen großen Einfluss hier haben.
Es muss ein Umdenken stattfinden und dabei kann Politik eine große Rolle spielen, in dem sie zum Einen Probleme und Ursachen konkret benennt und immer wieder betont, dass wir alle, gerade die Wirtschaft, von Sorgearbeit abhängig sind, sich aktuell aber noch nicht alle angemessen an den Kosten beteiligen und es daher strukturelle Lösungen in unser aller Interesse braucht. Und indem auch zivilgesellschaftliche Initiativen wie der Equal Care Day unterstützt werden, denn die machen genau diese Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit großartig, wenn man sie lässt!
Und da sind wir bei meinem abschließenden Appell: Ich habe selbst erlebt, wie viel an Sichtbarkeit ein Netzwerk wie der Equal Care Day bewirken kann, aber ich weiß auch wie viel Mehr notwendig ist, damit sich tatsächlich nachhaltig etwas verändert. Die Initiative braucht dringend Unterstützung, denn wir sind aktuell komplett ohne Förderung und damit stehen wertvolle Ressourcen auf dem Spiel wieder verloren zu gehen.
Und man kann sich auch direkt beteiligen: Indem man uns direkt kontaktiert und beispielsweise zu den offenen Netzwerktreffen an jedem vierten Donnerstag im Monat dabei ist.
Vielen Dank!
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