Gastbeitrag von Hanna Völkle.
Was haben diese Tätigkeiten gemeinsam: Tomaten im eigenen Garten anpflanzen? Täglich frische Lebensmittel zubereiten? Kindern zur guten Nacht vorlesen? Mit dem Fahrrad ins Büro radeln? Der Nachbarin die schweren Einkaufstüten hochtragen und mit dem Zug zu einer Konferenz reisen? Für alles wird Zeit benötigt. Und zwar solche Zeit, die wir nicht im Sinne einer Marktlogik gegen Geld eintauschen können (vgl. Perkins 2007).
Würde der oft zitierte Homo Oeconomicus mit dem Fahrrad ins Büro fahren, wenn es mit seinem Auto fünf Minuten schneller wäre? Wohl kaum, denn er ist das am kapitalistischen Reißbrett errechnete Idealbild eines Menschen, der weder Vergangenheit noch Zukunft kennt und Entscheidungen entlang einer Kosten-Nutzen-Rechnung trifft (vgl. Mellor 2013). Fahrradfahren kostet ihn mehr Zeit, also fährt er kein Rad. Dass die Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel nicht nur besser für seine Gesundheit, für seine Mitmenschen und kommende Generation ist, dafür hat er kein Bewusstsein, weshalb er nicht wirklich zum Idealbild taugt.
Warum gibt es dennoch Menschen, die Fahrrad- statt Autofahren, für Fernreisen den Zug statt das Flugzeug nutzen, ihr eigenes Gemüse anpflanzen und hilfsbereit gegenüber ihren Mitmenschen sind? Alles naive Spinner*innen, die ihre Kosten-Nutzen-Rechnung nicht fleißig aktualisieren? Warum investieren manche Menschen Zeit für andere und versuchen den eigenen ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten?
Eine mögliche Antwort könnte sein, dass sie anders als der Homo Oeconomicus, ein Bewusstsein dafür haben, dass vor ihnen etwas war und ebenso nach ihnen etwas sein wird. Oder anders: Sie haben ein intra- und intergenerationales Bewusstsein und investieren ihre Zeit ohne im Zweifelsfall (direkt) etwas dafür zurückzubekommen (vgl. Rinderspacher 1996, Adam 2002). Sie sind eingebettet in eine Gesellschaft, in der alle Menschen mindestens am Anfang und am Ende ihres Lebens darauf angewiesen sind, dass andere mehr als die eigene Nutzenmaximierung im Sinn haben und sich ihrer annehmen (intergenerational = zwischen den Generationen). Ebenso kann eine aktuelle Generation nur deshalb wirtschaften, weil vorherige Generationen Ressourcen hinterlassen haben, die bewirtschaftet werden können. Zu wissen, dass es neben der eigenen Lebenswirklichkeit immer auch andere gleichwertige Lebensrealitäten gibt, zeugt von intragenerationalem Bewusstsein (intragenerational = innerhalb einer Generation). So lässt sich Sorgearbeit nicht einfach an diejenigen auslagern, die weniger Ressourcen und Privilegien zur Verfügung haben und deshalb gegen prekäre Entlohnung soziale Dienstleistungen anbieten müssen (global care chain). Ebenso wenig kann es sinnvoll sein, ökologische Ressourcen auszubeuten, Umweltverschmutzungen billigend in Kauf zu nehmen und gleichzeitig zu hoffen, dass etwa der marktförmige Handel von CO2-Emissionen im Sinne nachhaltigen, zukunftsorientierten Wirtschaftens sei.
Eigentlich sollte es darum gehen, Herausforderungen, Belastungen und Vorteile gerecht zu verteilen, stattdessen lagern wir Verantwortlichkeiten allzu oft aus – Ulrich Brand und Markus Wissen (2017) haben dazu den Begriff der „imperialen Lebensweise“ geprägt. Das Konzept besagt im Kern, dass eine weltweite Mittel- und Oberschicht auf Kosten anderer Menschen und zukünftiger Generationen lebt. Wenn es um nachhaltige Lebens- und Produktionsweisen geht, bedeutet das dann etwa den Konsum Einzelner anzumahnen, statt makroökonomische Veränderungen einzuleiten oder Waren grüner zu produzieren, statt die Sinnhaftigkeit des Produkts generell in Frage zu stellen. Die marxistisch-feministische Soziologin Frigga Haug würde an dieser Stelle fragen: Wollen wir eine Reform oder eine Revolution? Oder anders gefragt: Inwiefern kann es eine gerechte Verteilung innerhalb eines Systems geben, das auf Ungleichverhältnisse setzt?
Wer kann derart souverän über die Verwendung der eigenen Zeit verfügen, um sich über einen nachhaltigen Lebens- und Konsumstil Gedanken zu machen, sich nachbarschaftlich, gemeinwohlorientiert zu engagieren oder zwischen möglichen Mobilitätsalternativen entscheiden zu können? Wenn es darum gehen soll, intra- und intergenerational-gerechte sowie sozial-ökologische Transformationsideen zu entwickeln, lohnt es sich, kritisch zu reflektieren, welche individuellen Ressourcen vorausgesetzt werden – finanziell, sozial und eben auch zeitlich. Zudem kann die Dimension der Zeit eine vermittelnde sein, wenn gemeinsame Schnittmengen aus feministischer wie ökologischer Ökonomie definiert (vgl. Winker 2011) und in gesellschaftspolitische Forderungen gegossen werden sollen. „Solange Erwerbsarbeit, Reproduktions- oder besser Zuwendungsarbeit, kulturelle Selbstentwicklung und Politik je getrennt verfolgt werden, geraten sie in eine Sackgasse. Ihre Verknüpfung setzt eine andere politische Dynamik frei. Sie braucht den utopischen Atem, nicht einfach um Arbeitszeitverkürzung zu streiten, sondern um eine Umverteilung der gesamten Lebenszeit und aller Tätigkeiten. Diese Umwälzung der Zeitökonomie verknüpft die gesellschaftliche Ebene mit der individuellen,“ (Haug 2011: 244).
Zurück zu jede*r Einzelnen von uns muss die Frage offenbleiben: Wollen wir eine Reform des Bestehenden oder haben wir den Mut für gemeinsame Revolutionsutopien?
Literatur
- Adam, Barbara (2002): The gendered time politics of globalization. Of shadowlands and elusive justice.
In: Feminist Review 70, 3–29. - Brand, Ulrich; Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: oekom.
- Haug, Frigga (2011): Vier-in-einem Perspektive als Leitfaden für Politik.
In: Das Argument (291), 241–250. - Mellor, Mary (2013): The Unsustainability of Economic Man. In: Ökologisches Wirtschaften 28 (4), 30–33.
- Perkins, Patricia E. (2007): Feminist Ecological Economics and Sustainability.
In: Journal of Bioeconomics 9 (3), 227–244. - Rinderspacher, Jürgen P. (1996): Mehr Zeit für eine bessere Umwelt? Das Dilemma des umweltbewussten Zeitnutzers.
In: Jürgen P. Rinderspacher (Hrsg.): - Zeit für die Umwelt. Handlungskonzepte für eine ökologische Zeitverwendung. Berlin: Sigma.
- Winker, Gabriele (2011): Soziale Reproduktion in der Krise. Care-Revolution als Perspektive.
In: Das Argument 53 (3), 333–344.
Hanna Völkle
Auf der Equal Care Day Konferenz in Bonn ist sie die Gastgeberin des Workshops zum Thema Care & Umwelt.
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