Ein Beitrag von Stefan János Wágner.
Wenn ich mit Angehörigen spreche, die sich um einen pflegebedürftigen Mitmenschen kümmern, und frage, was sie besonders belastet, dann wird häufig genannt: die ständige Verfügbarkeit, rund um die Uhr, die Wohnsituation, der Spagat zwischen eigenen Interessen, Familie und Beruf, oft auch soziale Isolation, schlechtes Gewissen, Scham, die eigenen Ansprüche und finanziellen Belastungen, die Angst, selbst krank zu werden und nicht mehr zur Verfügung stehen zu können, und verstärkt wenn es um Menschen mit demenziellen Veränderungen geht: fehlende Dankbarkeit und Wertschätzung, familiäre Zwistigkeiten oder Selbstaufopferung. Dieses Bauchgefühl aus der alltäglichen Arbeit wird durch Umfragen bestätigt: Viele würden sich gerne öfter eine Auszeit von der Betreuung nehmen und äußern den Wunsch nach sozialen Kontakten, nach Austausch und Wertschätzung.
Um pflegende Angehörige besser zu unterstützen und einen institutionellen Rahmen zu schaffen für Beratung, Austausch und Vernetzung sind seit 2017 in vielen Städten Kontaktbüros entstanden, 34 allein in Nordrhein-Westfalen. Grundlage dafür ist das Sozialgesetzbuch, das die Förderung vorsieht von Selbsthilfegruppen als „freiwillige, neutrale, unabhängige und nicht gewinnorientierte Zusammenschlüsse von Personen, die … das Ziel verfolgen, durch persönliche, wechselseitige Unterstützung, … die Lebenssituation von Pflegebedürftigen sowie von deren Angehörigen und vergleichbar Nahestehenden zu verbessern (§ 45d SGB XI). Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW, die Landesverbände der Pflegekassen oder der Verband der privaten Krankenversicherungen engagieren sich hier als fördernde Instanzen.
Für die allermeisten Pflegenden ist das Loslassen dürfen ein Problem, das unbedingt thematisiert werden muss. Oft hilft es, wenn andere, zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte, die ‚Erlaubnis‘ dafür geben oder besser noch eine Empfehlung aussprechen. Die Fürsorge für den pflegebedürftigen Mitmenschen muss gleichzeitig auch die Selbstfürsorge im Blick haben, damit es einen gerechten Ausgleich gibt. Frauen fällt das oft schwerer als Männern. Doch und wohl auch deshalb sind es gerade die Frauen in unserer Gesellschaft, die die Hauptlast der Pflege tragen.
Es gibt verschiedene Wege, sich den Rücken frei zu halten. Für die meisten ist das Hauptproblem die vermeintliche Unabkömmlichkeit von Zuhause. Aber es gibt sie, die Unterstützung im Alltag. Um neue Zugänge zu schaffen, gibt es beispielsweise in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis seit 2018 die Initiative ‚pflegende!aktiv‘. Die Angebote sprechen unterschiedliche Interessenbereiche an und bieten gleichzeitig kleine Auszeiten. Ob bei Spaziergängen, bei einem Kreativ-Workshop, beim Yoga, einem Fotokurs, beim Schreiben, Singen oder Stricken – die Zusammenschlüsse sind locker, bieten ausreichend Gelegenheit andere kennenzulernen und sind, weil gefördert, vor allem kostenlos. Sich über gemeinsame Themen auszutauschen und im Gespräch Entlastung zu finden, Zuspruch und Gemeinschaft, das ist Ziel der Gruppentreffen.
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