Vorschlag für einen (ökumenischen) Gottesdienst zum Thema Equal Care bzw. Equal Care Day
von Pastorin Carmen Hoffmann
In der Liturgie finden Sie/findet ihr an mehreren Stellen drei Alternativen, wie das jeweilige Element des Gottesdienstes gestaltet werden kann.
Votum
Begrüßung & Hinführung zu Equal Care
Liebe Zuhörerinnen, liebe Zuhörer, liebe alle
Liebe Zuhörer*innen,
ich begrüße Sie herzlich zum Gottesdienst am 29. Februar.
Sie schauen so verwundert, heute ist gar nicht der 29. Februar?
Den gibt es doch nur alle vier Jahre und dieses Jahr eben nicht.
Aber wo ist dieser Tag? Gibt es ihn nicht oder ist er einfach ¾ der Zeit nicht sichtbar? Wer macht die Arbeit an diesem unsichtbaren Tag? Oder besser gefragt: wer macht die unsichtbare Arbeit in 75-88 % der Zeit? Wer kocht und putzt, wer wickelt und wechselt nasse Betten? Wer hilft auf die Welt und bleibt bis zur letzten Minute am Bett? Wer schmiert die Pausenbrote und plant die Koffer für die Ferien?
Wenn Sie sich angesprochen fühlen, dann ahnen Sie vielleicht, um was es heute geht: um Care-Arbeit, um „Care“,
um Sorgearbeit in allen Lebensbereichen von der Geburts- bis zur Sterbehilfe, vom Frühstücksbrot bis zum Müll runter tragen. Sorge und Versorgungsarbeit: sei es privat, Professionell oder ehrenamtlich. Diese Care, Sorgearbeit wird oft übersehen, wenig wert geschätzt und sehr ungerecht verteilt.
Rund um den 29. Februar möchte die Initiative „Equal Care“- gleichwertige Sorgearbeit- darauf aufmerksam machen und gemeinsam mit allen Beteiligten Lösungen suchen.
Wir möchten/ Ich möchte heute mit Ihnen ein Teil dieser Initiative sein. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass es dem Kern christlicher Nächstenliebe entspricht, Sorgearbeit in den Mittelpunkt zu stellen.
Der jüdisch-christliche Glaube bekennt sich zu einem fürsorglichen Gott, der uns immer wieder auffordert, uns umeinander zu kümmern und füreinander zu sorgen: ganz besonders um die, die Hilfe brauchen, aber auch um uns selbst, um unseren Körper, Seele und Geist.
Schon seit biblischen Zeiten und immer wieder neu gilt es, hier hinzuschauen: wo sind unsere Strukturen ungerecht, um was drehen wir uns und wie können wir das Reich Gottes im Hier und heute beginnen lassen? Dazu lade ich/laden wir in diesem Gottesdienst ein.
Lassen Sie uns beten:
Kyrie und Gloria / Eingangsgebet
„Ehr‘ sei dem Vater“ (Gloria Patri)
Ehre sei dem dreieinigen Gott, der elterlich sorgt,
als Gottes Kind mit den Menschen lebt
und durch die Geistkraft wirkt.
wie es war im Anfang,
jetzt und immerdar,
und von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen.
Quelle: Ulrike E. Auga: https://www.ekbo.de/service/gottesdienst-geschlechtergerecht/kyrie-und-gloria.html
Lesung
Möglich ist eine oder beide Lesungen. Drei Bibelausgaben stehen unten zur Wahl.
Biblische Lesung 1: Gottesdienst im Alltag nach Jesaja (Kult+Sozialkritik), Jes 58, 5-10
Biblische Lesung 2: Klagepsalm Psalm 69, 1- 5
Klage/Sozialkritik heute
(von verschiedenen Personen, evtl. von verschiedenen Orten im Kirchenraum gelesen)
Liedvorschläge
• Meine engen Grenzen (Gotteslob 437)
• Meine Hoffnung und meine Freude (Gotteslob 365/7 Freitöne 43)
Überleitung zum Glaubensbekenntnis
Auf die Gebete und Klagen, auf die Stimmen von Menschen zu Gott damals und heute wollen wir antworten mit dem Bekenntnis unseres Glaubens.
(Entweder indem wir uns hineinstellen in die Tradition und die Verbundenheit mit Christinnen und Christen auf der ganzen Welt oder indem wir neue Worte mitsprechen, die suchend ertasten, was Glaube heute bedeutet.)
Glaubensbekenntnis
Lesung des Predigttextes: Lukas 10, 38-42
Predigt: „Ich sehe dich, Marta!“
Liebe Gemeinde,
vielleicht kennen Sie diese Erzählung von Maria und Marta. Ich zumindest meinte oft, sie gut zu kennen. Da sind diese zwei Schwestern: die eine macht es gut und wird von Jesus gelobt und die andere, die es wagt zu aufzumucken, die bekommt einen Tadel. Ein typische Geschwistererzählung, eine typische christliche Fabel mit einfacher Moral. Doch wie bei so vielen Texten und Geschichten der Bibel lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn einfach und klar ist diese Begegnung von Jesus mit Maria und Marta ganz und gar nicht. Als ich mir die Mühe machte, den Text in verschiedenen Übersetzungen und im Urtext nachzuschauen, wurde mir schnell klar: von den ersten Überlieferungen bis zu neusten Übersetzungen ringen Menschen mit dieser Episode.
Und zu Recht: sie ist uneindeutig.1Ich möchte mich ihr Schritt für Schritt nähern:
Jesus kommt in das Haus von Marta. Eine Frau ist die Hausherrin, sie ist seine Gastgeberin. Marta nimmt Jesus auf. Wie viele seiner Schüler und Schülerinnen mit ins Haus gingen, wird nicht erzählt. Früher habe ich mir immer diese 12 Männer vorgestellt, die oft auf Bildern zu sehen sind, aber nach allem was wir wissen, waren es sehr viel mehr, Männer und Frauen, die mit Jesus umherwanderten. Ob es ganz ungewöhnlich oder sogar gegen die Etikette war, dass eine Frau ihr Haus öffnete, davon steht im Text nichts. Wir wissen auch trotz eingehender Forschung zu wenig über die sozialen Alltagsverhältnisse dieser Zeit, um darüber urteilen zu können. Im Lukasevangelium wird es nicht problematisiert, daher bietet es sich nicht an, es zu tun. Marta hat eine Schwester, Maria, und sie setzt sich zu Jesus und hört ihm zu- so wie es in den Kapiteln zuvor Jünger, Schülerinnen und andere Menschen auch taten. Jesus war ein Gelehrter. Sein Redetalent muss erstaunlich gewesen sein. Menschen hörten ihm gebannt zu.
Dann kommt ein „Aber“: Marta aber war vom vielen Dienst beunruhigt. (V. 40) Ich schließe daraus, dass wohl doch ein paar mehr Menschen mitgekommen waren. Ich versuche die Situation aus der Sicht einer Gastgeberin zu betrachten: Gäste brauchten zuerst Wasser und Tücher, um sich die staubigen Füße und Hände zu waschen und zu trocknen. Schließlich legte man sich damals an die niedrigen Tische und saß nicht. Zudem aß man viel mit den Händen. Dann brauchte es Getränke und Essen. Damals gab es keinen Kühlschrank und keine Mikrowelle. Es wird sicherlich einiger Mühen bedurft haben auf die Schnelle, Speisen und Getränke zu besorgen, vorzubereiten und den hungrigen Gästen zu bringen. Da wäre ich vom Dienst auch ganz schön beunruhigt. Gerade, wenn ich auch gerne das ein oder andere Wort von diesem berühmten Jesus hätte aufschnappen wollen. Mit viel Selbstbewusstsein hätte ich vielleicht gerufen: „Hei, Leute, packt mal bitte alle mit an. Ich schaffe es nicht allein. Wenn ihr alle mithelft, können wir danach alle mitzuhören.“
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mir gelingt solcher Mut selten. Meist gehe ich eingespielte Wege: in diesem Fall: nach der Schwester/ Geschwistern gucken, nach Menschen, die nah dran sind. An Maria kommt sie scheinbar nicht direkt heran. Darum wendet sie sich an Jesus: „Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester mich allein zurücklässt, um zu dienen? Sprich mit ihr, damit sie mit mir zusammen Hand anlegt!“
So, sie spielt den Ball zu Jesus. Was wird er antworten? Wie wird er reagieren? An dieser Stelle halte ich immer wieder die Luft an. Jetzt muss sie doch kommen, diese Antwort, die ältere Geschwister (ich bin eine ältere, sorgende Schwester) ins Recht setzt.
Doch zunächst bin ich immer wieder enttäuscht über Jesu Antwort: „Marta, Marta, du sorgst dich und lärmst über die Vielheit!“
„Mensch, hätte Jesus nicht anders antworten können?“, denke ich immer wieder. Hätte er nicht sagen können: „du hast Recht, Marta, du hast uns so wunderbar aufgenommen. Wir könnten dir alle mehr helfen. Du sollst nicht unter deinem Dienst leiden, sondern mir auch zuhören können.“
Nein, so antwortet Jesus nicht. Er lässt sich halt schwer vor meinen Karren spannen, auch wenn es der gute „EqualCare“ Karren ist.
Aber Jesus antwortet auch nicht so, wie es viele Auslegungen vorgeben und die Überlieferungsgeschichte oft suggeriert: Marta tut das Niedrigere: das diakonische Dienen, Maria tut das Höhere: das geistliche Dienen, Geistliches Amt. Von solchen Gegenüberstellungen kann ich in diesen Sätzen nichts erkennen.
Wenn ich genau hinschaue, dann sehe ich Folgendes. Jesus sieht Marta. „Marta, Marta“, sagt er. Er nennt sie liebevoll bei ihrem Namen. „Marta, du sorgst dich!“ Jesus sieht, dass Marta sich sorgt. Er sieht ihre Care-, ihre Sorgearbeit. „Ich sehe dich, du bist nicht unsichtbar für mich.“ Und ich ergänze für mich und alle, die in Sorgearbeit stecken: es ist gut und wichtig und notwendig, dass du dich sorgst. Sorgen ist etwas Gutes und Wichtiges. Ohne dein Sorgen hätte ich nichts zu essen. Ohne deine Gastfreundschaft und Stärkung könnte ich meine Aufgaben nicht vollbringen, könnte ich nicht weiter von Gottes Liebe erzählen. Du sorgst dich! Danke!
Und dann kommt das „aber“ von Jesus. „Eines aber ist nötig. Maria hat das gute Teil gewählt, das wird man nicht von ihr nehmen!
Mich fordert diese Antwort immer wieder heraus. Was könnte Jesus mit diesen drei kleinen Sätzen gemeint haben?
Ein Vorschlag: es ist gut, dass du dich sorgst, aber du bist mehr als deine Sorgen, mehr als deine Mühen. Fürsorge ist wichtig, aber einzelne dürfen darin nicht aufgehen. Weder Maria noch du! Maria hat heute gewählt, mir zuzuhören, etwas von Gott zu hören, von der Gottes, Nächsten und Selbstliebe. Und das ist auch wichtig! Selbstfürsorge, SelfCare, sind auch wichtig, verbunden mit Gottesliebe, mit der Ausrichtung auf Ursprung und Ziel unseres Lebens. Es ist wichtig, dass Maria daran festhält, und vielleicht kannst du von ihr lernen. Sorge für andere und Sorge für sich selbst gehören zusammen. Es geht nicht um besser oder schlechter, sondern um gute Teile – gute Teil für jeden von euch.
Liebe Gemeinde, vielleicht fragen Sie sich ein bisschen, warum ich zu diesem Thema diesen Text gewählt habe. Warum einen Text mit so wenig Klarheiten, mit so offenen Sätzen, warum einen Text mit zwei Frauen als Protagonistinnen?
Ich möchte Antworten versuchen: auf konkrete komplexe Fragen der Gegenwart bietet die Bibel selten befriedigende Antworten. Sie kann nur Spannungsfelder eröffnen, in denen man sich mit den (Gottes)Erfahrungen anderer Menschen auseinandersetzen kann. Das bleibt immer ambivalent und unabgeschlossen. Aber dafür auch spannend!
In allen sozialen Fragen sind die biblischen Texte Zeugen ihrer Zeit und ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse. Das gilt auch für Sorgearbeit. Nach allem, was wir wissen, wurden 90-100% der Sorgearbeit in dieser Zeit von Frauen und Sklaven/Sklavinnen gemacht. Daher ist es sicherlich repräsentativ, dass Marta nach ihrer Schwester fragt, um zu helfen und nicht nach ihrem Bruder.
Ist das heute so anders? Studien zum Gender Care Gap zeigen: 75-80% der Sorgearbeit wird in Deutschland von Frauen geleistet, sowohl in der Familie als auch in Berufen. Viele der Sorge+Versorgungsberufe sind schlecht bezahlt und oft von der Politik und manchmal auch von anderen Beteiligten wenig wertgeschätzt, ich nenne ein paar Beispiele: Pflege/Erziehungsberufe/Hebammen/Reinigungskräfte. In der Kirchengeschichte wurde diese Erzählung immer wieder verwendet, um Diakonie und Wortverkündigung einander gegenüberzustellen, im schlechtesten Fall nicht als einander ergänzend sondern als Gegenpole. In der heutigen Arbeitswelt und Lebenswirklichkeit vieler Frauen sollte man vielleicht eher von zwei anderen „Polen“ sprechen: Sorgearbeit und Werksarbeit. Diese beiden Bereiche werden oft gegeneinandergestellt und absolut ungerecht verteilt. Als Christin empfinde ich dies als himmelschreiende Ungerechtigkeit! Es ist ungerecht und auch ungut, für alle, für beide und alle Geschlechter. Ich kann die Problematik hier nur anreißen. Auf der Internetseite von „EqualCareDay“ finden sie viele weiterführende Informationen.
Wenn überwiegend „Frauen“ für die Sorgearbeit zuständig sind und „Männer“ für die „Werksarbeit“ hat das fatale Folgen für beide, für alle Geschlechter.
Männlich gelesene Menschen wird es nicht ermöglicht, ihre eigene Care-Biographie entwickeln. Das bedeutet oft: zu wenig oder keine Zeit mit ihren Kindern oder pflegebedürftigen Eltern. Es bedeutet oft auch wenig bis keine Sorge für sich selbst. „Männer“ sind im Schnitt kranker und sterben im Schnitt 5 Jahre früher. Ungerecht ist es umgekehrt für weiblich gelesene Menschen. Sie werden oft über ihre Grenzen belastet und haben keine Zeit für ihre Interessen und Begabungen. Zudem führt die schlechte Bezahlung in den sozialen Berufen und in Eltern/Pflegezeiten zu Altersarmut gerade derer, die so viel für andere geleistet haben.
Für beide, für alle könnte es heilsam sein zu hören, dass Jesus sagt: Ich sehe dich! Ich sehe deine Sorge, sie ist wertvoll. Die Sorge für dich und die Sorge für andere. Lassen Sie uns diese Wertschätzung der Fürsorge von Jesus weitergeben und selber hören. „Ich sehe dich!“, sagt Gott. Amen
Fürbitten
Sendung und Segen
Liedvorschläge:
• Wo Menschen sich vergessen, Freitöne 172//Gotteslob 861
• Wenn das Brot, das wir teilen als Rose blüht, Freitöne 170// Gotteslob 470
• Lobe den Namen: „Lobe den Herren“ umgedichtet durch eine Kleingruppe auf dem Theologischen Wochenende der Schwestern- und Brüderschaft des Evangelischen Johannesstifts, Melodie: Lobe den Herren EG 317// Gotteslob 392
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