Gastbeitrag von Marlene Hellene.
Ein Geschehen, dass sich täglich so oder ähnlich in mütterlichen Chatgruppen ereignet. Eine Einladung zum Kindergeburtstag. In Ermangelung eines eigenen Handys adressiert an die Mutter des kleinen Gastes in spe. Die Mütter. Britta, Julia, Aischa, Maria, Lisa. Welche Gesellschaft soll das abbilden, frage ich. Würde Twitter empört fragen. Wo sind Florian, Peter, Michael, Hakan und Sven? Wo sind die Väter? Warum werden die nicht zu „Sommerfest Schule“, „Laternenbasteln“ oder eben „Kindergeburtstag Kim“ hinzugefügt? Haben die keine Handys? Sind deren Kontaktdaten geheim? Sind die Herren zu beschäftigt für derartige Belanglosigkeiten? Möchte man sie nicht mit Kinkerlitzchen belästigen? Oder liegt es daran, dass Mütter diese ganzen Kindersachen einfach besser können? Sind Mütter besser im Kalender führen, Geschenke besorgen oder Buffetvorbereitungen treffen? Liegt es ihnen einfach in den Genen? Macht es ihnen vielleicht sogar mehr Spaß als Vätern? Und haben Mütter nicht sowieso einfach nichts anderes zu tun?
Als mich obige Gruppeneinladungswhatsapp erreichte, saß ich gerade in meinem Büro und entschied über den Verkauf einer Immobilie im Wert von 500.000,00 Euro. Der Monitor vor mir zeigte meinen halbfertigen Beschluss. Das Handy neben mir piepte mir den Link zur Amazon Geschenkliste von klein Kim entgegen. Ja, Florian, ich höre schon deine Frage, warum ich mein Handy nicht einfach ausmache, wenn ich nicht gestört werden möchte. Ja, Michael, du machst das selbstverständlich. Ja, Hakan, du hast eine Weiterleitung an deine Sekretärin eingerichtet. Applaus, meine Herren, das macht ihr super. Auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Gähn! Wäre ich natürlich schon. So einfach ist es aber nicht. Zumindest für mich nicht. Weil die Gesellschaft mich gut erzogen hat. Weil ich von meiner konservativen Vater/Mutter/Kind westdeutschen Normfamilie so dressiert wurde. Mütter kümmern, sorgen und organisieren. Väter ernähren, beschützen und verdienen die Kohle. Rollenbilder, die mich wahnsinnig vor Wut machen. Die ich aber dennoch seit jüngster Kindheit verinnerlicht habe. Und deswegen kann ich das Handy nicht einfach zur Seite legen, wenn meine Kinder gerade nicht bei mir sind. Weil ja immer etwas passieren könnte. Die Kinder mich vielleicht brauchen. Ein Knochen gebrochen, eine Augenbraue aufgeplatzt ist. Der Notarzt wartet, der Vermisstenspürhund schon mit den Pfoten scharrt. Ich bin darauf geeicht, jederzeit für meine Kinder zur Stelle zu sein. Und sei es nur, um die Meerjungfrau Barbie vom Amazon Wunschzettel „Kim“ zu erwerben oder einen Laternenbasteltermin in meinen proppenvollen Online Kalender zu quetschen. Ich bin immer Mutter. Immer bereit. Immer im Dienst. Und wenn ich das mal nicht bin, dann haut mir mein anerzogenes schlechtes Muttergewissen schneller eine aufs Maul als ich „emanzipiert“ buchstabieren kann.
Klar, Sven, du sagst jetzt, das sei ja wohl mein Problem. Mein hausgemachter Muttiperfektionismus. Da müsse ich die Schuld schön bei mir selber suchen. Ist ja auch super unprofessionell, das Handy bei der Arbeit für Privates zu nutzen. Soll ich eben nicht mitmachen bei dem ganzen Bastel- und Kuchenscheiß. Einfach ignorieren. Da können ja wohl Männer nichts dafür, dass ich eine Helikoptermutter bin. Bei ihm ginge das ja auch. Und bei Peter. Bei Hans-Dieter sowieso. Der ist ja manchmal wochenlang in Brüssel. Politik machen. Dem ist auch keiner böse, wenn er Geburtstage verpasst und Elterngespräche seiner Frau überlässt.
Und genau da liegt der Punkt. Hans-Dieter ist keiner böse. Marie-Luise aber schon. Marie-Luise, Vorstand eines DAX Unternehmens wird immer immer immer auch als Mutter wahrgenommen werden. Sie wird immer Fragen nach der Betreuung und dem Verbleib ihrer Kinder beantworten müssen. Es wird immer eine leichte Missbilligung mitschwingen, wenn sie die Kinder den ganzen Tag dem Au pair überlässt, um zum Meeting nach Zürich zu fliegen. Hans-Dieter jedoch ist Hans-Dieter. Dr. Hans-Dieter vielleicht. Chef, Vorstand, Aufsichtsrat. Aber nicht Vater. Nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. Hans-Dieter wird nicht in Whatsapp Gruppen eingeladen, nicht von der Schule angerufen, weil der Spross kotzt und auf gar keinen Fall nachmittags um drei auf dem Bastelbasar erwartet. Hans-Dieter ist zu beschäftigt dafür. Hans-Dieter darf nicht gestört werden. Hans-Dieter hat wichtigeres zu tun. Marie-Luise nicht. In Marie-Luises Leben haben die Kinder an erster Stelle zu stehen. Geld und Ruhm sind nicht alles. Dafür ist schließlich auch später noch Zeit. Die Kinder werden so schnell groß. Was sie alles verpasst. Ist es das wirklich wert?
Sehen Sie die Ungerechtigkeit? Sehen Sie das Problem? Frauen wissen, dass die Gesellschaft sie beurteilt. Sie bewertet. Sie abwertet. Und deswegen fügen sie sich häufig. Machen alles. Karriere und Bastelbasar. Job und Kindergeburtstag. Doppelbelastung bis zur Überbelastung. Nicht nebeneinander. Nicht hintereinander. Immer gleichzeitig. Den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechend und doch nie genug. In keiner der beiden Welten.
Um diese Rollenbilder zu durchbrechen müssen sich nicht die Männer ändern. Es müssen sich nicht die Frauen ändern. Nein, wir alle müssen umdenken. Ich muss das. Sie müssen das. Mütter haben genauso viel oder wenig Freude an Laternenumzügen und dreckigen Windeln wie Väter. Es liegt nicht in den Genen oder dem Körperbau. Das Geschlecht entscheidet nicht über die Qualität der Elternschaft. Das ist unfair. Frauen gegenüber. Männern gegenüber. Und deswegen höre ich jetzt damit auf. Füge mich nicht mehr den Erwartungen. Hahaha, nein. Tue ich nicht. Schaffe ich nicht. Noch nicht. Nicht völlig. Aber ich mache kleine Schritte in die richtige Richtung. Babysteps raus aus der Ungerechtigkeit. Traue mich, auf die Meinung anderer zu pfeifen. Wage es, auszubrechen aus gelernten Traditionen. Und Susanne kann das auch. Susanne kann zukünftig Florian zur Gruppe hinzufügen. Und Florian kann eine Barbie kaufen. Und Kuchen backen. Und Marie-Luise zum erfolgreichen Pitch gratulieren. Ohne nach den Kindern zu fragen. Genau wie Peter und Lisa. Hans-Dieter und Aischa. Nur zusammen können wir das. Egal, ob mit Penis oder Scheide.
Marlene Hellene
Marlene Ottendörfer, geboren 1979, bloggt für Damengedeck.com, schreibt Bücher bei Rowohlt und twittert als @MarleneHellene. Sie lebt mit ihrer Familie in Karlsruhe.
Dass ich als Mutter mir alles aufhalse aufgrund der erlernten Rollenverteilung, kann ich ja nachvollziehen. Trotzdem ist der Faktor einen wichtigen Beitrag zum Familieneinkommen zu leisten, neu hinzugekommen. Als ich klein war, arbeiteten die meisten anderen Mütter nicht und meine hatte eine Geringbeschäftigung – für das bisschen Luxus extra, sozusagen.
Dass mein Mann so gar nicht daran denkt, dass er sich beteiligen muss, noch nicht mal, wenn er frei hat. Dass ich die Dinge immer delegieren muss und dazu noch bitte und danke sagen muss… Das ist aus meiner Sicht nicht mehr mit Erziehung begründbar, sondern mit persönlicher Faulheit, die sich auf einem alten Rollenverständnis ausruht.
Deshalb müssen sich auch weiterhin die Männer ändern, achtsamer werden und Interesse zeigen. Sie müssen sich auch mal anbieten, das Geschenk zu besorgen und nicht nur blöd fragen, wieso wir drei verschiedene Geschenkpapiere mit Kindermotiven benötigen!
Der Frust ist groß…