Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen – nach Corona endlich einführen!
Gastbeitrag von Uta Meier-Gräwe
Bereits im Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2011) wurde festgestellt, dass sich haushaltsnahe Dienstleistungen als ein wichtiges Instrument erweisen, um Familien in unterschiedlichen Lebensphasen die Bewältigung ihres Alltags zu erleichtern: “Die Überwindung von geschlechtersegregierten Alltags- und Lebenszeiten setzt einen Ausbau von passgenauen und qualitativ hochwertigen familienrelevanten Human- und Sachdienstleistungen voraus.“ (BMFSFJ 2011a, 173). Darunter fallen z. B. Hol- und Bringdienste, die Beaufsichtigung von Kindern im Haushalt, die Zubereitung von Frühstück und Abendbrot, Wäschepflege, Bügeln und Putzen oder Einkaufsdienste. Solche Dienste erfordern keine spezifischen pädagogischen Qualifikationen, wohl aber eine fachliche Ausbildung im hauswirtschaftlichen Bereich und in der Personenbetreuung.
Für die Entwicklung dieses Dienstleistungssegments spricht auch, dass mehr als die Hälfte der Eltern mit Kindern, die keine Haushaltshilfe haben, ihr Interesse an der Nutzung solcher Dienstleistungen bekunden. In der Machbarkeitsstudie „Haushaltsnahe Dienstleistungen für Wiedereinsteigerinnen“ wurden solche Dienste von Eltern im Alter zwischen 20 und 60 Jahren als ein wichtiges Instrument zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit und fairen Chancen für Frauen im Berufsleben angesehen. 83 Prozent der befragten Mütter und 75 Prozent aller Väter schätzten das so ein (vgl. BMFSFJ 2011b). Außerdem fragen ältere Menschen solche Dienste immer häufiger nach, um auch bei bestimmten körperlichen oder mentalen Einschränkungen möglichst lange ein selbständiges Leben im vertrauten Umfeld führen zu können.
Staatlich wurde dieses Dienstleistungssegment personaler Versorgung hierzulande jedoch nicht konsequent gefördert, um gute Arbeitsplätze zu schaffen. Vielmehr wurde auf subventionierte Minijobs, also auf Billigdienstleistungen gesetzt. Diese werden in der Regel von Frauen ausgeübt und ermöglichen keine eigenständige Existenzsicherung. Zudem erweisen sie sich als eine berufliche Sackgasse, die ihre Abhängigkeit vom männlichen Hauptverdiener festschreiben und keinen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt eröffnen. Das zeigt sich nun auch in Coronazeiten: Minijobber*innen erhalten kein Kurzarbeiter*innengeld!!! Aus gleichstellungs-, sozial- und familienpolitischer Perspektive handelt es sich um eine Fehlentwicklung, die es endlich zu korrigieren gilt. Haushaltsnahe Dienstleistungsberufe sollten zu echten „Lebensberufen“ weiterentwickelt werden, in denen die Beschäftigten dauerhaft gut und existenzsichernd arbeiten und sich beruflich weiterentwickeln können. Deshalb muss in den Ausbau dieser und anderer Dienstleistungsberufe personaler Versorgung ein größerer Anteil des Bruttoinlandsprodukts investiert werden als bisher (vgl. BMFSFJ 2017, 172 f.). Das könnte durch ein Gutscheinmodell erfolgen, wie es seit Jahren mit guten Erfolgen in Belgien praktiziert wird.
Wie funktioniert das Gutscheinmodell? – Vorbild Belgien
Belgien startete das System der Dienstleistungsschecks, das sogenannte „Système Titre Service“, bereits 2004. Seitdem kann jede in Belgien ansässige Privatperson maximal 500 Dienstleistungsschecks pro Jahr kaufen und für eine Vielzahl von verschiedenen haushaltsnahen Dienstleistungen einlösen. Der Scheck war 2014 für 7,50 Euro erhältlich, hatte jedoch einen Gesamtwert von 20,80 Euro. Der belgische Staat trägt die Differenz von 13,30 Euro. Junge Mütter und Wiedereinsteigerinnen werden außerdem gezielt unterstützt, indem sie 105 Dienstleistungsschecks kostenfrei von der Sozialversicherungskasse erhalten, um ihren beruflichen Wiedereinstieg zu erleichtern.
In Belgien wird ein breites Spektrum an Dienstleistungen gefördert. Dies ist mit der explizit arbeitsmarktpolitischen Ausrichtung des belgischen Systems zu begründen: Dadurch werden nicht nur unterschiedliche Zielgruppen im Haushalt unterstützt, sondern auch Beschäftigungsperspektiven für eine Vielzahl von Arbeitslosen und Geringqualifizierten geschaffen. Die Dienstleistungsagenturen bündeln die Nachfrage und schaffen auf diesem Wege sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Bürokratische Hindernisse für die Nutzer*innen wie die Übernahme der Arbeitgeberrolle im Fall einer direkten Anstellung im Privathaushalt sowie hohe Suchkosten werden vermieden. Außerdem gibt es die Festlegung, dass die Gutscheine ausschließlich bei solchen Dienstleistungsunternehmen eingelöst werden können, die zertifiziert sind. Dadurch ist die Qualitätssicherung der angebotenen Dienstleistungen gewährleistet. Vorteile dieses Gutscheinsystems bestehen außerdem darin, dass sie Haushalten mit geringen Einkommen (z.B. älteren alleinlebenden Personen, Alleinerziehenden und Familien mit einem behinderten Kind) ermöglichen, stundenweise Dienstleistungen einzukaufen, ohne sich für einen längeren Zeitraum finanziell zu verpflichten.
Der Belgische Staat reagierte damit auf die vorhandenen Bedarfe und förderte die Entwicklung eines regulären Marktes haushaltsnaher Dienstleistungen ganz gezielt. Durch den Einsatz dieser öffentlichen Mittel wurden diese Dienstleistungen bezahlbar. Auch wenn dies zunächst Mehrkosten verursacht hat, wurden andererseits erhebliche Einspareffekte durch Steuermehreinnahmen und Sozialabgaben erzielt. Belgien hat auf diese Weise innerhalb von 12 Jahren rund 150.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen, die Schwarzarbeit konnte erheblich zurückgedrängt werden. Die Nachfrage nach diesen Gutscheinen ist in Belgien bislang ungebrochen hoch: Schon 2014 wurden landesweit fast 116 Millionen Dienstleistungsschecks gekauft und eingelöst.
Das Gutscheinmodell in Deutschland
Um die Chancen zur Transformation des Belgischen Gutscheinmodells für die Bundesrepublik Deutschland auszuloten, wurde zwischen 2017 und 2019 ein Modellversuch realisiert. Das in den Arbeitsamtsbezirken Aalen und Heilbronn in Baden-Württemberg implementierte Projekt zielte darauf ab, eine professionelle Servicestruktur für Dienstleistungen im Privathaushalt mit einer zentralen Anlaufstelle vor Ort bereitzustellen. Es ging zum einen um die Entlastung von Familien bzw. Arbeitnehmer*innen und zum anderen um die Förderung von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung im Dienstleistungssektor. Das Modellprojekt bot zudem gering qualifizierten Personen die Möglichkeit, sich im Rahmen des Projekts weiterzubilden und einen hauswirtschaftlichen Abschluss zu erlangen. Es wurde anvisiert, dass Fachkräfte ihre Arbeitszeit aufstocken bzw. Wiedereinsteiger*innen mit unterschiedlichen Berufsqualifikationen aus der „stillen Reserve“ herauszuholen, darunter auch Alleinerziehende.
Die Gutscheine konnten von Personen mit Kindern unter 18 Jahren und/oder mit pflegebedürftigen Angehörigen erworben werden, die wieder in Teilzeit mit mindestens 25 Stunden pro Woche ins Erwerbsleben einsteigen, bereits in Teilzeit arbeiten und ihre wöchentliche Arbeitszeit um 5 Stunden erhöhen oder bereits mindestens 25 Wochenstunden arbeiten, ihre Arbeitszeit jedoch auf Grund familiärer Sorgeverantwortung hätten reduzieren müssen. Jeder Haushalt konnte maximal 20 Gutscheine pro Monat erwerben. Jeder Gutschein hat einen Wert von 12 Euro.
Personen aus den unterschiedlichsten Berufsbranchen (Mint-Berufe, Sozial-, Pflege- und Erziehungsberufe, Verwaltungsberufe) haben die Gutscheine mit steigender Tendenz in Anspruch genommen.
Aus Sicht der Nutzerinnen wurde das Angebot durchgängig positiv bewertet. Drei Zitate mögen an dieser Stelle genügen:
- „Durch Eure Unterstützung kann ich weiterhin meinem Job gerecht werden (den ich wirklich mit Freude mache) und was noch wichtiger ist, ich habe auch mehr Zeit für meine Kinder.“
- „Endlich denkt mal jemand an uns Frauen. Es tut so gut, heimzukommen und alles ist erledigt.“
- „Ich habe schon öfter nach einer Möglichkeit gesucht, eine legale Haushaltshilfe anzustellen. Es braucht dringend solche Alternativen zum Schwarzmarkt.“
Gutscheine für Care-Arbeit anstatt Autokaufprämien
Anstatt also Autokaufprämien oder Warengutscheine nach dem Gießkannenprinzip zur Ankurbelung der Wirtschaft nach Corona zu favorisieren, wäre es für verschiedene Bevölkerungsgruppen (Paare mit Kindern, Alleinerziehende, Eltern mit behinderten Kindern, ältere Menschen mit bestimmten körperlichen und mentalen Einschränkungen) sehr viel hilfreicher, wenn sie über solche staatlich subventionierten Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen verfügen könnten. Immerhin ist dieses Ziel im aktuellen Koalitionsvertrag bereits formuliert und sollte nun endlich umgesetzt werden, damit es nach Corona eben nicht zu einer „entsetzlichen Retraditionalisierung“ kommt, wie die Präsidentin des Wissenschaftszentrums in Berlin, Jutta Allmendinger, befürchtet (ZEIT-online, 12.5.2020). Das lässt sich allerdings nur durch geschlechtergerechte Haushaltspläne („Gender Budgeting“) realisieren, die gezielt nachweisen müssen, dass Frauen und Männer, weibliche Sorgeberufe und männliche Produktionszweige gleichermaßen von staatlichen Geldern profitieren. Ansonsten würde sich wiederholen, was nach der Finanzkrise von 2008 passiert ist: Damals wurden bei den Entscheidungen über die Konjunkturpakete schwere gleichstellungspolitische Fehler begangen. Es wurden einseitig jene Branchen und Wirtschaftszweige subventioniert, in denen vorrangig Männer arbeiten. Es hat eine gewisse Ironie, dass die „Systemrelevanz“ der Autoindustrie und des Maschinenbaus seinerzeit als Begründung für die massive staatliche Unterstützung dieser Branchen ins Feld geführt wurde, während die Careberufe leer ausgingen. Seit der Corona-Pandemie wissen wir jedoch, welche Berufe wirklich systemrelevant sind und dass wir eine care-zentrierte Ökonomie brauchen. Deshalb sollten Dienstleistungsberufe personaler Versorgung endlich professionalisiert und ihren Anforderungen entsprechend vergütet werden, anstatt im Caresektor weiter auf illegale Beschäftigung und Ehrenamt zu vertrauen oder auf die globalen Sorgeketten („global care chains“) zu setzen. Subventionierte Gutscheine für haushaltsnahe Dienste wären ein wichtiger Baustein. Sie kämen staatlichen Markteinführungshilfen gleich, die den überfälligen Strukturwandel unserer Gesellschaft hin zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft wirksam unterstützen können und zugleich mehr Geschlechtergerechtigkeit und Lebensqualität schaffen.
Uta Meier-Gräwe
Sie war bis 2018 Professorin für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und leitete von 2013 -2018 das Kompetenzzentrum zur Professionalisierung und Qualitätssicherung haushaltsnaher Dienstleistungen. Außerdem war sie Mitglied in der familienpolitischen Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung e. V. Forschungsschwerpunkte: Zeit-, Gender-, Armuts- und Familienforschung.
Dies ist eine der 18 Forderungen der Equal Care Manifests. Eine Kurzfassung mit Textkacheln finden Sie hier.
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