Auszug aus Laura Fröhlichs Buch „Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles! Was Eltern gewinnen, wenn sie den Mental Load teilen“ (S. 88-91).

An manchen Tagen, an denen ich von morgens bis abends damit beschäftigt war, neben meinem Beruf auch einen großen Teil der Care-Arbeit zu stemmen, hätte ich mich am liebsten vor Erschöpfung einfach nur heulend auf den Boden gesetzt. Mit Mantras wie »mach eines nach dem anderen« rappelte ich mich auf. Manchmal kam Panik dazu. Würde dieser Wahnsinn für immer so weitergehen? Ich fühlte mich gehetzt und dachte am Wochenende an den nahenden Montag, vor dem Urlaub an die Packliste und während der Ferien an die Termine danach. So entwickelte sich manchmal das Gefühl, im Alltag zu ertrinken. Wieso war es ein Privileg der Väter, völlig abschalten zu können? Hatte ich nicht auch ein Recht auf Pausen, auf Auszeiten vom Kümmern, auf Zeit für mich, meine Hobbys und meinen Beruf? Tagsüber grübelte ich darüber, ob ich für die Mutterrolle einfach nicht gemacht war. Meine Familie litt unter meinen Launen, ich war gereizt und gestresst, wollte einfach nur mal wieder alleine sein und fühlte mich gleichzeitig schuldig. Ich sah mich beruflich und privat scheitern und fühlte mich wie in einer Zwangsjacke. Wer meint, an seiner Situation nichts ändern zu können, spürt Hilflosigkeit, die ein Maximum an Stress auslöst.[i] Kommen dir solche Gedanken auch bekannt vor? This is a motherʼs world!

Wenn Prägung und Identität aufeinandertreffen, kann ein innerer Konflikt entstehen, schreibt Dr. Mirriam Prieß in ihrem Buch Burnout kommt nicht nur von Stress.[ii] Das erklärt, was wir erleben, wenn wir versuchen, dem Mutterbild zu entsprechen und das Prinzip zu übernehmen, nach dem die meisten Frauen leben, sobald sie Kinder bekommen. Mich erschöpfte diese Rolle, aber ich kam nicht aus meiner verfahrenen Situation heraus, weil ich Angst hatte, als schlechte Mutter zu gelten, wenn ich zugab, dass mich die Familien-Organisation und die Care-Arbeit anstrengten. Dabei sind du und ich mit unserer Überforderung nicht allein. US-amerikanische Forscherinnen fanden bei einer Befragung heraus, dass sich 88 Prozent der Mütter wegen ihrer alleinigen Verantwortung für die Familien-Organisation leer und antriebslos fühlen und unzufrieden mit ihrem Leben sind.[iii] 87 Prozent aller Frauen, die an einer Kurmaßnahme teilnehmen, leiden an Erschöpfungssymptomen bis hin zum Burn-out. Grund dafür ist meist eine hohe psychosoziale Belastung durch Haus- und Familienarbeit, heißt es in einem Bericht des Müttergenesungswerks.[iv] Das mentale Wohlbefinden von Frauen verschlechtert sich erheblich in den ersten sieben Jahren nach der Geburt eines Kindes[v], und der Gesundheitsreport einer Krankenkasse von 2017 bestätigt, dass die Übernahme von Familienverantwortung ein besonders hohes Gesundheitsrisiko birgt.[vi]

»Erschöpfung entsteht, wenn wir in Emotionen stecken bleiben«[vii], schreiben Emily und Amelia Nagoski in ihrem Buch Stress. Elternsein ist erschöpfend, das ist uns allen klar, aber in unserem System brennen vor allem die Mütter darüber aus. Sie fühlen sich häufig auch deshalb so hilflos, weil sie glauben, keine Wahl zu haben. Sie sind gefangen im Gefühl, sich ständig kümmern zu müssen. »Wenn wir es darauf angelegt hätten, ein System zu entwickeln, um bei der Hälfte der Bevölkerung Burnout hervorzurufen, hätten wir nichts Effizienteres erfinden können«, schreiben die Psychologinnen.[viii]

Durch die extreme mentale Belastung fühlte ich mich, als hätte ich mich selbst verloren. Wer war ich eigentlich außer die Mutter meiner Kinder? Gab es die alte Laura überhaupt noch? Logisch, auch Anton war zweitweise völlig fertig, wenn die Nächte kurz und die Kinder ständig krank waren. Er hatte aber die Abwechslung in seinem Job und konnte sich entspannen, wenn er sich mal eine Auszeit nahm. Seine Gedanken kreisten eben nicht am laufenden Band um die Familie und die Arbeit zu Hause. Ich wurde dagegen auch für andere langsam unsichtbar. Der Kontakt zu alten Kolleg*innen riss ab, meine Freundinnen traf ich selten, und abends war ich zu müde, um auszugehen. Meine Identität beruhte nur noch auf Rollen, die sich durch die Beziehung zu anderen definierten: Ehefrau, Mutter und Tochter. Mich als eigenständige Person gab es nicht mehr. Für mich war kein Raum mehr vorhanden.

Vera schreibt mir auf Instagram:

Mich macht das echt fertig. Ich habe ständig das Gefühl zu versagen. Haushalt ist das komplette Chaos, Kinder meckern, weil ich wieder irgendwas vergessen habe, der Mann kommt viel zu kurz und ich will mich eigentlich nur in eine Höhle verziehen und schlafen …

Kinder zu bekommen bedeutet, sich um sie zu kümmern. Es sind aber nicht nur die Hausarbeit und die Kinderbetreuung, die zu schaffen machen, sondern die mentale Belastung, die mit der Hauptverantwortung für die Familien-Organisation zusammenhängt. Eines hätte mir sicher geholfen: mein Gehirn auf Autopilot zu schalten und die Aufgaben einfach nur ausführen zu müssen. Denn wenn das Gehirn laufend mit Familien-Organisation beschäftigt ist, bleibt kaum Raum, um zu erkennen, was man aktuell braucht. Mental Load macht es vielen Frauen schwer, einen Ausweg zu finden, sich Zeit für sich zu nehmen und Pläne für die Zukunft zu schmieden. Ganz egal ob es darum geht, sich wieder seinem Beruf zu widmen oder sich neben der Kindererziehung um sich selbst zu kümmern – all das bleibt auf der Strecke und kann dann zu schwerer psychischer Belastung führen. Ich selber bin dank der Unterstützung meiner Familie und der meines Mannes an einer Depression vorbeigeschrammt. Wie vielen Frauen gelingt das nicht, weil sie keine Unterstützung haben oder sogar alleinerziehend sind, was laut Statistischem Bundesamt übrigens auf jede fünfte deutsche Familie zutrifft. Dass Stress und Überforderung krank machen, zeigt sich beispielsweise auch bei Moderatorin Lisa Ortgies, die mit 52 Jahren einen Herzinfarkt erlitt. Sie forschte nach den Gründen und fand heraus, dass nicht nur der Vereinbarkeitswahnsinn von Beruf und Familie für ihre Situation verantwortlich war, sondern auch ihr Wille zu funktionieren. Sie habe sich kaum noch gespürt, sei über ihre Bedürfnisse hinweggegangen, und das auch ausgelöst durch gesellschaftliche Vorgaben, falsche Ideale und Machbarkeit als Mantra. »Diese Rolle, dieses Verantwortungsgefühl, übersteigt die Kräfte vieler Frauen – dafür bezahlen sie mit ihrer Gesundheit«, sagt Lisa Ortgies in einem Interview in der Zeitschrift Flow.[ix]

[i]Mirriam Prieß: Burnout kommt nicht nur von Stress. Warum wir wirklich ausbrennen – und wie wir zu uns selbst zurückfinden, München 2015, S. 65

[ii]Ebd., S. 44

[iii]Lucia Ciciolla, Suniya S. Luthar: Invisible household labor and ramifications for adjustment: Mothers as captains of households, Sex Roles 2019, in: https://www.researchgate.net/publication/330847401_Invisible_Household_Labor_and_Ramifications_for_Adjustment_Mothers_as_Captains_of_Households.

[iv]http://www.muettergenesungswerk.de/news/1318/totale-erschoepfung-wenn-familienarbeit-krank-mach.html

[v]Marco Giesselmann, Marina Hagen, Reinhard Schunck: Mutterschaft geht häufig mit verschlechtertem Wohlbefinden einher, DIW Studie, in: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.596751.de/18-35-1.pdf

[vi]https://www.hkk.de/infomaterial/hkk-gesundheitsreport#hkkgesundheitsreports

[vii] Emily und Amelia Nagoski: Stress. Warum Frauen leichter ausbrennen und was sie für sich tun können, München 2019, S. 12

[viii]Ebd., S 13f.

[ix]Im Interview: Journalistin und Autorin Lisa Ortgies, in: Flow, 37/2018

Laura Fröhlich

Laura Fröhlich ist Journalistin und Buchautorin. Sie setzt sich als Expertin mit Mental Load und seinen Folgen auseinander (www.heuteistmusik.de) und veröffentlichte im Sommer 2020 einen Ratgeber mit dem Titel: „Die Frau fürs Leben ist nicht das Mädchen für alles. Was Eltern gewinnen, wenn sie den Mental Load teilen“. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in der Nähe von Stuttgart.

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