Gastbeitrag von Václav Demling.
Genauso wie die private Care-Arbeit sehr ungleich zwischen den Geschlechtern verteilt ist, so sind die Geschlechter auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sehr unterschiedlich auf Berufsfelder und einzelne Berufe verteilt. Der unfairen Verteilung von Care-Arbeit sowie deren mangelnde Wertschätzung und der geschlechtsstereotypen Berufswahl liegt dabei ein und dasselbe Problem zugrunde: Es ist die Vorstellung, dass Menschen aufgrund ihres Geschlechts prädestiniert sind für bestimmte Tätigkeiten und damit letztlich auch Rollen in der Gesellschaft.
Der Anteil der Frauen, die einer bezahlten Beschäftigung nachgehen, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Diese Tatsache hat allerdings nicht dazu geführt, dass private Care-Arbeit in stärkerem Maße von Männern übernommen worden wäre. Frauen sind in Deutschland im Schnitt mehr als vier Stunden täglich mit unbezahlten Tätigkeiten beschäftigt, bei den Männern beträgt dieser Wert nur rund zweieinhalb Stunden. Nimmt man bezahlte Arbeit hinzu, hat sich das Arbeitsvolumen von Frauen und Männern zwischen 2002 und 2013 sogar noch auseinander entwickelt: Frauen arbeiten im Schnitt rund eine Stunde pro Tag länger als Männer. (Die sogenannte Mental-Load, die Last der Verantwortung ist in diesen Zahlen noch nicht einmal eingerechnet.) Es liegt auf der Hand, dass die Ungleichheit bei der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit sich negativ auf die Berufs- und Karrierechancen von Frauen auswirkt.
Fast 80% aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Frauen entscheiden sich häufig für einen Teilzeitjob, weil sie familiäre Aufgaben wie die Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen An- gehörigen übernehmen. Gehen Männer in Teilzeit, spielen solche Gründe kaum eine Rolle. Das Ziel, Frauen am Arbeitsmarkt zu beteiligen, geht also auf (Anstieg von 59,5 auf 70,6 % zwischen 2005 und 2016), zu einer fairen Verteilung der Arbeitsbelastung insgesamt hat das aber nicht geführt. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich bei den unter 40-Jährigen die Mehrheit der Frauen (55%) und Männer (52%) zwar ein gleichberechtigtes Partnerschafts- und Familienmodell wünscht, die Realität aber anders aussieht, sobald Paare Kinder bekommen: Die alten Rollenmuster kommen aus der Mottenkiste hervor und bestimmen den Lebensalltag.
Diese Rollenmuster wirken nicht nur bei der Aufteilung von Haushaltsaufgaben, Kindererziehung und Angehörigenpflege, sondern auch schon bei Jugendlichen in der Berufsfindungsphase. Das beginnt nicht erst bei der eigentlichen Berufsentscheidung, sondern bei der Fächerwahl in der Schule. Obwohl sich die Leistungen 15-jähriger Mädchen und Jungen nicht gravierend unter- scheiden, wählen Mädchen und Jungen in der Oberstufe überwiegend Fächer, die geschlechterstereotypen Vorstellungen entsprechen. So waren 2015 über 75 % Jungen im Leistungskurs Physik vertreten, im Fach Informatik waren es sogar 83 % männliche Teilnehmende. Umgekehrt waren es im Leistungskurs Kunst/Gestaltung über 80% Mädchen, ähnlich sah es in den Fächern Psychologie bzw. Pädagogik (79,5 %) und Französisch (77%) aus.
Diese von Geschlechterstereotypen geprägte Fächerwahl setzt sich auf der Hochschule und dem Ausbildungsmarkt fort. Die ungleiche Verteilung beginnt schon bei der Entscheidung zwischen schulischer und betrieblicher Ausbildung. Während bei der schulischen die Frauen in der Überzahl sind (Berufsfachschulen: 56% Frauen; Schulen des Gesundheitswesens: 77% Frauen), dominieren Männer zahlenmäßig die betriebliche Ausbildung. Dort verteilen sich die Geschlechter ganz klischeehaft auf die einzelnen Bereiche. Die Hauswirtschaft ist mit 90% zu 10% klar in Frauenhand, während im Handwerk nur 21 % Frauen ausgebildet werden. An Universitäten und Hochschulen er- gibt sich ein ähnliches Bild. Zwar ist die Aufteilung der Geschlechter mit 50 Prozent Männern an Unis und 58% an Fachhochschulen nahezu ausgeglichen, doch bei genauem Hinsehen verteilen sich Frauen und Männer unterschiedlich auf die Studiengänge. Im Maschinenbau sind 89% aller Eingeschrieben Männer, in Erziehungswissenschaften sind 77% aller Studierenden Frauen.
Was seine Wurzeln in tradierten Rollenklischees hat, bereits im Kleinkindalter seine Wirkung entfaltet und sich in Schule, Ausbildung und Studium fort- setzt, bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Berufswahl, den Arbeitsmarkt und die Aufstiegschancen von Frauen. In einer nach wie vor männlich dominierten Arbeitskultur bleiben Frauen benachteiligt, verdienen im Schnitt weniger (Gender Pay Gap: 21%), haben ein geringeres Einkommen im Alter (Gender Pension Gap: 44,8%) und leisten weit- aus mehr Sorge-Arbeit (Gender Care Gap: 110,6% im Alter von 34 Jahren!). Das Ziel einer klischeefreien Berufswahl und einer fairen Verteilung von Care-Arbeit und deren angemessener Wertschätzung lässt sich also nur gemeinsam denken und lösen, indem es an der Wurzel gepackt wird: Der Idee, das Geschlecht berufe einen Menschen für diese oder jene Tätigkeit, ohne auf das Individuum zu schauen.
Václav Demling
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und Online-Redakteur des Portals klischee-frei.de.
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