Gastbeitrag von Melanie Ebenfeld und Aysel Yollu-Tok

 

Der Equal Care Day 2021 steht im Zeichen der Corona-Pandemie. Was die Pandemie vor allem sichtbar macht, ist der dringende Bedarf einer qualitativ und quantitativ guten Betreuungsinfrastruktur für Kinder und pflegebedürftige Angehörige – vor Ausbruch der Corona-Pandemie, währenddessen und auch danach. Damit verknüpft macht die Pandemie sichtbar, dass die zunehmende digitale Vernetzung und die damit einhergehende Möglichkeit der orts- und zeitflexiblen Arbeit kein Allheilmittel für eine bessere Vereinbarkeit von Erwerbs- und Sorgearbeit ist. Welche Rahmenbedingungen hierfür dringend nötig sind, hat die Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung untersucht und in Handlungsempfehlungen gegossen. Die Kommission hat das Gutachten zum Dritten Gleichstellungsbericht mit dem Titel „Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten“ am  26. Januar 2021 der Bundesregierung übergeben.

Der Gender Care Gap

misst die Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen. Für das Jahr 2012/2013 lag er bei 52,4%, d.h. dass eine Frau in Deutschland durchschnittlich 52,4 % mehr Zeit für Sorgearbeit am Tag verwendet hat als ein Mann. So leisten Männer pro Tag im Schnitt zwei Stunden und 46 Minuten unbezahlte Sorgearbeit, bei Frauen sind es vier Stunden und 13 Minuten.[i]

Gender Care Share

misst den Anteil, den Frauen an der gesamten informellen Sorgearbeit innerhalb eines heterosexuellen Paarhaushaltes leisten. Der Gender Care Share lag im Jahr 2017 bei 66%, d.h. dass eine Frau 66% und ihr Partner 34% der Sorgearbeit in ihrem gemeinsamen Haushalt übernommen hat. Der Wert bezieht sich nicht auf die geleisteten Stunden, sondern auf die Verteilung der Sorgearbeit innerhalb der Mann-Frau-Beziehung, wäre die Verteilung ausgeglichen, würde der Wert bei 50% liegen. (Quelle Samtleben, s.o.)

Die Kommission stellt fest, dass allein der Zugang zu digitalen Endgeräten nicht automatisch eine geschlechtergerechte Nutzung mit sich bringt. Bereits vor Ausbruch der Pandemie wurden die Auswirkungen von Homeoffice auf die Verteilung von Sorgearbeit untersucht. Samtleben et al. (2020)  haben in einer Expertise für das Gutachten den Gender Care Share analysiert. Der Gender Care Share ist der prozentuale Anteil an den insgesamt (im Haushalt) anfallenden Stunden für Hausarbeit und Kinderbetreuung, der von Frauen geleistet wird. Der Wert kann von 0 % bis 100 % reichen. Im Vergleich zum Gender Care Gap lässt sich mit dem Gender Care Share die Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit auf der Ebene von (zweigeschlechtlichen) Paarhaushalten im Längsschnitt analysieren, womit der Einfluss von Homeoffice auf die Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sichtbar gemacht werden kann.

Die Expertise von Samtleben et al. kommt zu dem Ergebnis, dass der Gender Care Share im Durchschnitt aller gemischtgeschlechtlichen Paare in Deutschland im Jahr 2017 bei 66 % lag; im Jahr 1997 lag er bei 69 %. Sie zeigt zudem, dass Homeoffice (vor Corona) die Sorgearbeit bei Männern und Frauen erhöht – allerdings erhöhen Männer ihre Zeit für Sorgearbeit im Homeoffice um 0,6 Stunden, Frauen jedoch um 1,7 Stunden. Der Gender Care Share steigt damit auf 67,2 %.[ii] Homeoffice ist demnach ein Faktor, der die Beteiligung von Männern an Sorgearbeit erhöht, aber auch Frauen erhöhen ihre Sorgearbeit. Demnach führt Homeoffice nicht zu einer ausgeglichenen Verteilung der Sorgearbeit innerhalb eines zweigeschlechtlichen Paarhaushaltes.

Die Frage ist, wie orts- und zeitflexibles Arbeiten zur besseren Vereinbarkeit beitragen und somit die Verwirklichungschancen aller Menschen, unabhängig vom Geschlecht, erhöhen kann. Die Digitalisierung ermöglicht in vielen Berufen, zumindest einen Teil der Tätigkeiten außerhalb der Arbeitsstätte zu erledigen. Sorgearbeit kann durch digitale Endgeräte koordiniert oder unterstützt werden: Das kurzzeitige „Switchen“ zu privaten Aufgaben am Arbeitsplatz, wie z.B. ein Kontakt zur KiTa, kann zur Vereinbarkeit beitragen. Die andere Seite der Medaille ist jedoch, dass eine ständige berufliche Erreichbarkeit auf dem Handy auch außerhalb des Arbeitsplatzes zu Stress führen kann. Die Entgrenzung von Erwerbsarbeit, Sorgearbeit und Selbstsorge birgt damit Chancen und Risiken, deshalb braucht es klare und verbindliche Regelungen. Damit Digitalisierung geschlechtergerecht gestaltet wird, hat die Sachverständigenkommission konkrete Handlungsempfehlungen zur Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit, Sorgearbeit und Selbstsorge an die Bundesregierung gerichtet:

Mobile Arbeit muss gesetzlich geregelt werden, damit alle Menschen unabhängig ihres Geschlechts diese nutzen können: Die Sachverständigenkommission hat dazu im Dezember 2020 ein Positionspapier veröffentlicht und konkrete Vorschläge zu diesen Bereichen gemacht: Sie spricht sich für einen Rechtsanspruch auf Mobile Arbeit aus, jedoch nur mit entsprechenden rechtlichen Flankierungen, die zum einen die Freiwilligkeit sichern und Regelungen im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, Datenschutzes und Diskriminierungsschutzes umfassen; Flankierungen im Bereich der Arbeitsplatzausstattung, Unfallversicherung und steuerliche Absetzbarkeit sind ebenso dringende Forderungen.

Ein Recht auf Wahlarbeitszeit muss eingeführt werden: Die Flexibilisierungsspielräume im Arbeitsrecht müssen dahingehend erweitert werden, dass alle Beschäftigte die Möglichkeit bekommen, ihre Arbeitszeit flexibel und „vereinbarkeitsförderlich“ zu gestalten. D.h., dass sie die zeitliche Lage der täglichen/wöchentlichen Arbeitszeit ändern und die Arbeit kurzzeitig und flexibel zur Wahrnehmung von Sorgeaufgaben unterbrechen können.

Eine gesundheitsgerechte Nutzung von Flexibilitätsspielräumen muss ermöglicht werden: Flexible Arbeitsformen und die daraus resultierenden Entgrenzungen sind ambivalent. Sie können der Vereinbarkeit dienen und gleichzeitig gesundheitliche Risiken durch Stress und Mehrbelastung mit sich bringen. Deshalb muss der betriebliche Gesundheitsschutz verstärkt werden. Ebenso muss es Möglichkeit kurzer Arbeitszeitunterbrechung als „Vereinbarkeitspausen“ zur Erledigung privater Sorgetätigkeiten geben.

Die Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten wird im Mai 2021 erwartet. Das Gutachten mit einer breiten Analyse der Auswirkungen der Digitalisierung auf Wirtschaft und Gesellschaft und 101 Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung finden Sie hier: www.dritter-gleichstellungsbericht.de

[i] Bundesregierung (2017): Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. BT-Drucksache 18/12840, Berlin, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/zweiter-gleichstellungsbericht-der-bundesregierung/119796

[ii] Samtleben, Claire/Lott, Yvonne/Müller, Kai-Uwe 2020: Auswirkungen der Ort-Zeit-Flexibilisierung von Erwerbsarbeit auf informelle Sorgearbeit im Zuge der Digitalisierung, S. 34 https://www.dritter-gleichstellungsbericht.de/kontext/controllers/document.php/102.1/3/be94fc.pdf

Melanie Ebenfeld

Melanie Ebenfeld ist Diplom-Pädagogin und Gender & Diversity Trainerin. Sie gibt Fortbildungen und berät zu Genderkompetenzen, Sensibilisierung für vielfältige Lebensweisen, Gender Mainstreaming und Antidiskriminierungspolitik und moderiert gleichstellungspolitische Veranstaltungen: www.gender-education.de
Sie hat als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle des Dritten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung gearbeitet.

Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok

Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok ist Professorin für Volkswirtschaftslehre und Direktorin des Harriet Taylor Mill- Institut für Ökonomie und Geschlechterforschung an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Sie ist Vorsitzende der Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung.