Interview von Sonja Bastin
Hallo Karline, hallo Sandra,
mit eurer Kampagne ProParents setzt ihr euch dafür ein, dass Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal ins Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) aufgenommen wird und ihr habt auch eine Petition gestartet. Glückwunsch zu bereits mehr als 47.000 Unterschriften! Was hat euch dazu bewegt und welche Formen von Diskriminierung erleben Eltern eher als andere Menschen?
Sandra: Ich beschäftige mich schon seit zehn Jahren mit dem Thema „Eltern im Arbeitsleben“, zum einen als Anwältin und zum anderen auch auf meinem Blog www.smart-mama.de. Ich wurde nach meiner ersten Elternzeit selber ziemlich ungalant vor die Tür gesetzt. Daraufhin habe ich mich selbstständig gemacht und im Laufe der letzten Jahre sehr viele Mandat*innen beraten, die in ihren Jobs benachteiligt wurden. Irgendwann habe ich festgestellt: Das sind nicht nur private Schicksale, die für die Einzelnen hart sind. Nein, das ist eine systematische Diskriminierung von Eltern im Arbeitsleben. Und ich finde, es ist an der Zeit, dass wir darüber sprechen.
Karline: Ja, es ist der Elefant im Raum, über den sich niemand traut zu sprechen. Eltern werden im Job benachteiligt – das kriegen wir beide in unserem Umfeld fast täglich mit. Kündigungen am ersten Tag nach der Elternzeit, kein gleichwertiger Arbeitsplatz und weniger Gehalt beim Wiedereinstieg, abwertende Bemerkungen von Vorgesetzten bei Fehlzeiten aufgrund eines kranken Kindes – diese Fälle sind keine Seltenheit, sondern alltägliche Lebensrealität. Dabei gibt es in Deutschland fast 20 Millionen Eltern, die den Grundstein für die langfristige Weiterentwicklung und Funktionsfähigkeit von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft legen. 80 % dieser Eltern sind erwerbstätig und erwirtschaften einen erheblichen Teil des Bruttoinlandsproduktes bzw. der Steuereinkünfte. Diese tragende Rolle bekommt unseres Erachtens nicht die Wertschätzung, die sie verdient.
„Es muss uns allen klar werden, dass die Diskriminierung von Eltern eine breite Relevanz für alle Menschen in diesem Land hat.“
Bisher wurde bei Diskriminierung im Job vor allem über Frauen gesprochen. Warum ist es wichtig Väter hier mit einzubeziehen?
Karline: Das stimmt, aktuell sind von dem Thema immer noch deutlich mehr Mütter betroffen. Aber wir hören auch zunehmend von Vätern, die vom Arbeitgeber teils massiv benachteiligt wurden, weil sie Fürsorgeaufgaben übernehmen wollten. Und da zeigt sich, dass Mütter und Väter, die Fürsorgearbeit leisten, im Grunde genommen das gleiche Problem haben und sich mit Vorurteilen auseinandersetzen müssen.
Wir sind der Meinung: Alle sollten hier einbezogen werden, egal ob Mutter, Vater oder kinderlos. Es muss uns allen klar werden, dass die Diskriminierung von Eltern eine breite Relevanz für alle Menschen in diesem Land hat. Wenn Menschen sich dagegen entscheiden, Kinder zu bekommen, weil sie das Gefühl haben, es sich nicht leisten zu können, noch einmal im Beruf auszusetzen, dann müssen wir uns ja alle, egal ob Eltern oder nicht, fragen: Wer kauft in zehn Jahren die Produkte der Unternehmen, die heute die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen sollten. Wer bedient uns in 30 Jahren im Restaurant und wer pflegt uns in 50 Jahren?
Die Diskriminierung ist hier also daran gebunden, dass Menschen private Sorgearbeit übernehmen. Etwas, worauf wir alle als Gesellschaft angewiesen sind. Wie ist das mit Menschen, die keine Eltern sind aber sorgearbeiten – zum Beispiel pflegende Angehörige, soziale Eltern – geht es auch um die in eurer Kampagne?
Sandra: Wir verbinden mit der Diskussion und insbesondere der Umsetzung unserer Forderung die Hoffnung, dass Fürsorgearbeit einen anderen Stellenwert, eine andere Wertschätzung in Deutschland bekommt. Aufgrund der bis August 2022 in nationales Recht umzusetzenden EU-Vereinbarkeitsrichtlinie, die im Übrigen nicht nur eine Verbesserung der Rechtsstellung erwerbstätiger Eltern, sondern auch der Arbeitnehmer*innen, die Angehörige pflegen, vorsieht, ist das AGG in seiner aktuellen Fassung ohnehin auf den Prüfstand. In diesem Kontext bestünde nicht nur die Möglichkeit das AGG um das längst überfällige Merkmal „Elternschaft“, sondern auch gleichzeitig, ggf. auch generell auf das Merkmal „pflegende Angehörige“ bzw. „sorgearbeitsverpflichtete Erwerbstätige“ auszuweiten.
Was uns bei der Diskussion immer wieder erschreckt: Es gibt so gut wie gar keine Zahlen zu diesem Thema. Das zeugt ja auch davon, welchen geringen Stellenwert dieser ganze Themenkomplex auf der politischen Agenda hat.
„Wenn in dem Gesetzestext am Ende nicht „Eltern“ sondern fürsorgeleistende Erwerbstätige steht, freuen wir uns glaube ich alle.“
Und andersrum gibt es Eltern, die keine oder nur wenig Sorgearbeit übernehmen – auf viele Väter trifft das zu. Sie haben auch nicht damit zu kämpfen, dass Arbeitgeber längerfristige Einschränkungen im Job durch Sorgearbeit antizipieren.
Ab und an erhaltet ihr deshalb den Hinweis, dass durch eine allgemeine Stärkung der Rechte von Eltern die Ungleichheit zwischen Vätern und Müttern vergrößert werden könnte. Zumal Väter mitunter sogar kinderlosen Männern gegenüber bevorzugt behandelt werden, weil ihnen die Ernährerfunktion zugeschrieben wird. Welche Möglichkeiten seht ihr diesem Risiko bei der Aufnahme von Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal ins AGG zu begegnen?
Sandra: Wir sind der Meinung, dass wir irgendwo mal anfangen müssen, um etwas zu verändern. Für uns ist ein „Weiter So“ einfach nicht akzeptabel, wir wollen Strukturen aufbrechen und Lösungen für neue Wege finden. Eltern dürfen in der Arbeitswelt nicht benachteiligt werden. Und das gilt erst mal für alle Mütter und Väter. Wir haben ja bereits Gesetze, die die Rechte von Eltern stärken, z.B. das Bundeselterngeld und Elternzeitgesetz (BEEG), das sowohl für Mütter als auch für Väter gilt. Mir ist nicht bekannt, dass dieses Gesetz die Ungleichheit zwischen Vätern und Müttern vergrößert hat. Ganz im Gegenteil – indem die Regelungen ausgeweitet und erweitert wurden – wie z.B. die Abschaffung des Erziehungsgeldes und die Einführung des Elterngeldes, wurden Anreize gesetzt, dass Väter häufiger und länger als noch vor 10 Jahren Fürsorgearbeit übernehmen. Wir sehen ein noch größeres Risiko darin, einfach gar nichts zu machen und die systematische Benachteiligung von Müttern und zunehmend auch mehr Vätern einfach stillschweigend zu akzeptieren. Generell stehen wir aber auch einem Merkmal, dass noch stärker an die faktische Erbringung der Fürsorgearbeit anknüpft, also z.B. allgemein „fürsorgeleistende Erwerbstätige“ offen gegenüber. Wobei hier die Herausforderung sein wird, dass der Begriff der Fürsorgeleistenden bzw. der Fürsorgeleistung aktuell juristisch noch nicht definiert ist – das ist bei Eltern leichter.
Karline: Ja so ist es! Wir haben mit unserer Forderung einen Stein in den See geworfen und damit eine Diskussion zum Stellenwert von Eltern im Arbeitsleben und dem Schutz von Fürsorgearbeitleistenden begonnen. Wie eine konkrete Gesetzesänderung aussehen wird, ist für uns der zweite Schritt. Wenn in dem Gesetzestext am Ende nicht „Eltern“ sondern „fürsorgeleistende Erwerbstätige“ steht, freuen wir uns glaube ich alle.
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