Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf migrantische Care-Arbeiter*innen in Deutschland
Gastbeitrag von Dr. Anna Safuta und Kristin Noack
Es ist notwendig den Einfluss der Corona-Krise auf migrantische Care-Arbeiter*innen zu untersuchen, da Pflege in Deutschland zu einem großen Teil auf diesen Arrangements beruht. In deutschen Haushalten arbeiten derzeit bis zu 500.000 Care-Arbeiter*innen in sogenannten live-in Arrangements. Die meisten von ihnen kommen aus Polen, aber zunehmend auch aus Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine. Die momentane Pandemie und insbesondere die Einschränkungen transnationaler Mobilität, die damit einhergehen, heben die ausbeuterische Natur dieser Pflegearrangements hervor.
Migrantische Care-Arbeiter*innen finden ihre Arbeit in der Regel durch persönliche Kontakte oder durch spezialisierte Agenturen, die ihren Sitz entweder in Deutschland oder Polen haben. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, live-ins anzustellen: auf der Basis eines polnischen Arbeitsvertrages im Rahmen der EU-Arbeitnehmerentsendung, als Selbstständige nach deutscher oder polnischer Gesetzgebung, oder indem sie direkt von Familien angestellt werden. Der Bundesverband für Betreuung in häuslicher Gemeinschaft in Deutschland, VHBP, schätzt, dass 90% aller Care-Arbeiter*innen, die in deutschen Haushalten tätig sind, ohne einen zulässigen Vertrag arbeiten.
Einblick in die Welt von Care-Arbeiter*innen über Soziale Medien
Die meisten Care-Arbeiter*innen leben in dem Haushalt, in dem sie arbeiten (daher werden sie als live-ins bezeichnet). Ihre Arbeitsbedingungen stehen häufig im Widerspruch zu arbeitsrechtlichen Bestimmungen in Bezug auf Mindestlohn und Arbeitszeit (inklusive klar definierter Arbeitsstunden und vorgeschriebener, regelmäßiger Ruhephasen). Zu ihren Aufgaben zählen haushaltsnahe Dienstleistungen (wie Haushaltsführung, Zubereitung von Mahlzeiten, Besorgungen außer Haus), Betreuung und Gesellschaft sowie Körper- und Grundpflege. Intensive Arbeitsperioden (zwischen einigen Wochen und bis zu drei Monaten) wechseln sich ab mit Zeiten im Herkunftsland. Wenn sie im Dienst sind, haben live-ins wenig Freizeit und beschränkte Kontaktmöglichkeiten zu anderen Menschen als den Pflegebedürftigen und deren Familien. Soziale Medien stellen daher ein essenzielles Kommunikationsmittel und eine wichtige Informationsquelle für migrantische Care-Arbeiter*innen dar.
Wir haben Diskussionen in einer der mitgliedsstärksten Facebook-Gruppen für polnische Care-Arbeiter*innen, die in Privathaushalten in ganz Deutschland arbeiten, verfolgt. In solchen Gruppen führen Stellenausschreibungen von Individuen oder Agenturen, die eine Bezahlung von 1500€ oder weniger anbieten, zu hitzigen Debatten. Diese Diskussionen beginnen oft mit einem wütenden oder empörten Kommentar über das niedrige Gehalt und einem bestärkenden: „Wir müssen Selbstachtung haben!“ Die Pandemie verschärfte den Unmut: “Heutzutage, für so wenig Geld [arbeiten]?! Und du bekommst den Virus kostenlos als Bonus. Lasst die Damen von der Agentur selbst [dort arbeiten] gehen.”
COVID19 Regeln erschweren Pendelmigration von Live-Ins
Im April 2020 haben erst polnische, dann deutsche Behörden Grenzkontrollen wiedereingeführt inklusive einer zweiwöchigen Quarantänepflicht nach Grenzübertritt. Dies führte zu einer neuen Art der Kommentare unter Stellenanzeigen: Fragen über Quarantänebestimmungen und Grenzkontrollen. Wird eine schriftliche Bestätigung von der beschäftigenden Familie ausreichen, um die Grenze zu übertreten? Einige Arbeitnehmer*innen fragten auch nach Transportmitteln, da die meisten Bus- und Kleinbusunternehmen ihre üblichen Shuttles zwischen Deutschland und Polen eingestellt haben. Andere begrenzten die Anzahl der Passagiere und die Frequenz der Verbindungen oder erhöhten die Ticketpreise. Die Unmenge an Fragen über Quarantänebestimmungen und Transportmöglichkeiten zeigen, dass die Pendelmigration zwischen dem Arbeitsplatz in Deutschland und ihrem eigenen Haushalt in Polen ein wesentlicher Bestandteil dieser live-in Arrangements ist. Ohne die Möglichkeit nach einigen Wochen in Deutschland wieder nach Hause zu reisen, wäre diese Art der Arbeit nicht attraktiv, vor allem vor dem Hintergrund relativ niedriger Bezahlung (wenn man selbst Miete bezahlen müsste und von dieser Bezahlung in Deutschland leben müsste), sozialer Isolation und anstrengender Arbeitsbedingungen.
Gute Stellen sind solche, wo Pflegebedürftige noch mobil sind (und somit nicht hochgehoben werden müssen) und Care-Arbeiter*innen nachts nicht aufstehen müssen, um beispielsweise eine Windel zu wechseln oder einen Stomabeutel zu leeren. So werden viele Stellen beworben: „Ohne nachts aufzustehen und ohne Heben“. Während der Pandemie enthielten Stellenanzeigen zusätzlich eine Erwähnung, dass Agenturen Bescheinigungen ausstellen, die von Quarantänebestimmungen befreien. Einige kurzfristige Stellenanzeigen enthielten den Hinweis, dass die ursprünglich angestellte Care-Arbeiter*in unter Quarantäne in Polen steht, was jedoch auch bedeuten könnte, dass diese gekündigt hat.
Während der Pandemie kamen Spannungen unter Care-Arbeiter*innen auf: Es gab jene, die weiterhin arbeiten wollten, und jene, die erstere beschuldigten sich selbst und andere unnötigerweise in Gefahr zu bringen, indem sie das Unzumutbare akzeptieren. Ein Beispielbeitrag in der Gruppe: „Ich lese zunehmend geschmacklose Kommentare über Frauen, die arbeiten wollen. Das ist eine persönliche Angelegenheit. Keine von denen, die [abwertend] kommentieren, werden unsere Familien ernähren oder unsere Rechnungen bezahlen – du musst arbeiten. […] Ich habe mich verpflichtet zwei ältere Menschen zu pflegen und jetzt, wo sie mich am meisten brauchen, soll ich sie verlassen? Das werde ich nicht tun.“
Keine Notfallhilfen für Care-Arbeiter*innen
Nachdem der Grenzverkehr eingeschränkt wurde, haben deutsche Behörden einige Ausnahmen für Grenzübertritte eingeführt, von denen auch live-ins Gebrauch machen konnten. Dem Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, zufolge haben deutsche Behörden die Ein- und Ausreise von Care-Arbeiter*innen nicht unnötigerweise behindert. Unabhängig von der Pandemie scheint es keinen politischen Willen zu geben, migrantische Care-Arbeiter*innen bei den Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert sind, zu unterstützen. Es wurden auf nationaler und föderaler Ebene zwar schnell Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise verabschiedet, wie beispielsweise Notfallhilfen für Unternehmen und deren Angestellte sowie (in einigen Bundesländern) Tagegelder für Grenzpendler. Allerdings haben viele live-ins vermutlich keinen Zugang zu diesen Unterstützungsleistungen, da mindestens 90% keinen gültigen Vertrag haben.
Es wurden auch Übergangsregelungen getroffen, um die generelle Pflegeerbringung aufrechtzuerhalten. Pflegebedürftige Menschen können finanzielle Unterstützung erhalten. Ein Gesetz bietet darüber hinaus kurzfristige Unterstützungsmaßnahmen für berufstätige Angehörige, die zu Hause pflegen. Diese Akuthilfe kann als Möglichkeit angesehen werden, um mit Versorgungsengpässen umzugehen, die durch die Abreise von migrantischen Care-Arbeiter*innen und die zeitweise Schließung von Tagespflegeeinrichtungen entstanden sind. Diese Regelungen trafen allerdings nicht auf live-in Arrangements zu. Viele Familien und Agenturen nahmen die Sache in die eigene Hand: Sie organisierten eigenständig Transportmöglichkeiten und zahlten Boni an Care-Arbeiter*innen, die sich dazu entschieden haben, ihren Aufenthalt zu verlängern. Scheinbar ist die Nachfrage nach Vermittlungsagenturen während der Corona-Pandemie gestiegen, da Familien mit dem Zusammenbrechen von selbstorganisierten Arrangements einen kurzfristigen Ersatz benötigen.
Die Pandemie dient als Brennglas für unhaltbare Pflegearrangements. Ähnlich wie die Probleme von Eltern, die während der Pandemie die doppelten Belastungen von Lohnarbeit und Care-Arbeit tragen, sind auch die Herausforderungen der Altenpflege kein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, das umfassende Lösungen erfordert statt auf der Ausbeutung von migrantischen Arbeitskräften zu beruhen.
Dr. Anna Safuta
Anna Safuta ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich “Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik” an der Universität Bremen. Zuvor verteidigte sie ihre binationale Promotion in Soziologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und an der Université catholique de Louvain. Zu ihren Forschungsinteressen zählen Sozialpolitik, Migration, Feminismus und Intersektionalität (gender, class, race).
Kristin Noack
Kristin Noack ist Doktorandin an der Bremen International Graduate School of Social Sciences (BIGSSS) und arbeitet ebenfalls am Sonderforschungsbereich “Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik” an der Universität Bremen. Zuvor studierte sie Politikwissenschaft und European Studies in Leipzig, Paris und Sankt Petersburg. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit der Rolle von Migrant*innen in der Altenpflege in Deutschland.
Dieser Artikel erschien zuerst in der zehnten Ausgabe zu „Epidemics, labour and mobility“ von Routed Magazine. Er entstand im Rahmen eines Projektes, das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 374666841 – SFB 1342 – gefördert wird.
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