Mit der Gründung des Social Entrepreneurships „caredrobe“ machen drei Studentinnen aus Braunschweig auf die prekäre Situation von Care-Migrant*innen in der häuslichen Pflege aufmerksam. Mit „caredrobe“ kreieren sie eine Arbeitskleidung, die symbolisch für die Abgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit steht und Aushandlungsprozesse im Privathaushalt erleichtert.

Gastbeitrag von Emmelie Althaus, Anna Eckl und Leonie Matt

Ende Januar bekamen wir Student*innen des Masterstudiengangs Transformation Design das Thema für das nächste Semesterprojekt mitgeteilt: „TAKE/CARE“, sollte es heißen. Zu diesem Zeitpunkt war Corona noch weit entfernt. Noch ahnten wir nicht, dass das kommende Semester ausschließlich vor unseren Bildschirmen stattfinden und das Thema Pflege in den kommenden Monaten stark in den Fokus der öffentlichen Debatte rücken würde. Als ein paar Wochen später vom Balkon aus für die tapfere Arbeit von Pflegekräften applaudiert wurde, steckten wir bereits tief in den Recherchen und hörten in dem Beifall plötzlich einen dumpfen Unterton: Vor uns breitete sich die ganze Misere des deutschen Pflegesystems aus, das bei Weitem nicht die Bedürfnisse aller Beteiligten erfüllt und stattdessen auf dem Rücken schlecht bezahlter Pflegekräfte ausgetragen wird.

Besonders beschäftigte uns die prekäre Situation von Care-Migrant*innen, die vor allem aus Osteuropa nach Deutschland kommen und in der sogenannten „24-Stunden-Pflege“ arbeiten. Um das „Rundum-sorglos-Versprechen“ zu erfüllen, mit denen Agenturen bei Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen werben, wird von Care-Migrant*innen – auch “Live-Ins” genannt – vierundzwanzigsieben flexible Abrufbereitschaft und permanente Anwesenheit im Privathaushalt erwartet. Ähnlich wie die emotionalen, psychosozialen und kommunikativen Aspekte der Pflegebetreuung wird diese Überbelastung kaum als zu entlohnende Leistung anerkannt. Zusätzlich erschweren die Isolation im Privathaushalt, sprachliche Barrieren und die starke Personalisierung der Arbeitsbeziehungen die Situation.

Anfang Juli sprachen wir mit Ewa K., einer ehemaligen Care-Migrantin aus Polen, die heute in einer Tagespflege arbeitet. Sie berichtete uns von ihrer Unsicherheit, wenn sie den Pflegebedürftigen Medikamente verabreichen musste, obwohl diese Aufgabe eindeutig nicht vertraglich vereinbart war. In einem besonders herausfordernden Beschäftigungsverhältnis hatte sie innerhalb weniger Wochen zehn Kilo Gewicht verloren, weil sie durch die Anforderung ständiger Verfügbarkeit kaum zum Schlafen gekommen war.

Das etwa zweistündige Gespräch mit Ewa beeindruckte uns sehr und beschämte uns auch. Wir erkannten: Ohne das Engagement von Frauen wie Ewa wäre die Versorgungslücke im deutschen Pflegesystem nicht zu schließen.

Wir begannen uns zu fragen, was dringender ist: Jetzt die Arbeitssituation von Care-Migrant*innen durch unmittelbare Interventionen erleichtern oder auf langfristige, systemische Veränderung hoffen, durch einen breiten und offenen Dialog? Wir entschieden uns für beides. Die Idee: Eine Arbeitskleidung für Care-Migrant*innen zur Erleichterung der akuten Situation im Privathaushalt, finanziert durch solidarische Statement-T-Shirts, die zum Dialog über Pflege anregen.

Mit der Einführung einer Arbeitskleidung für die häusliche Pflege möchten wir erreichen, dass Care-Migrant*innen insbesondere die Abgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit leichter fällt. Kleidung lässt sich abstreifen und signalisiert dann deutlich: „Jetzt bin ich nicht im Dienst.“ Umgekehrt zeigt das Tragen der Arbeitskleidung den Pflegebedürftigen und Angehörigen, dass die Pflegekraft verfügbar und ansprechbar ist.

Dabei sehen wir auch den Vorteil, dass Care-Migrat*innen beim nicht-Tragen der Arbeitskleidung verstärkt als Privatpersonen mit ihren eigenen Geschichten und eigenen Interessen wahrgenommen werden können. Das Angestellten-Verhältnis wird in diesen Momenten aufgebrochen und Aushandlungen über Freizeit und Privatsphäre zum Beispiel können dadurch einfacher, weil objektiver werden.

Wie die Arbeitsgarderobe konkret aussehen soll, steht noch nicht fest. Wichtig ist, dass sie sowohl von den Care-Migrant*innen selbst, als auch von den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen akzeptiert wird. Was die Kleidung dafür optisch und funktional erfüllen muss, erarbeiten wir zusammen mit Care-Migrant*innen in einem teilhabenden Gestaltungsprozess; erste Entwürfe dazu sind bereits bei einem ersten Workshop Anfang Oktober entstanden.

Solidarische Statement-T-Shirts sorgen für Aufmerksamkeit und finanzieren langfristig die Arbeitsgarderobe für die häusliche Pflege

Mit der Gründung von „caredrobe“ möchten wir mit zur Diskussion über Pflege-Arbeit beitragen und verstärkt auf die prekären Arbeitsbedingungen in der häuslichen Pflege aufmerksam machen. Im Zentrum steht dabei der Vertrieb solidarischer T-Shirts mit der Bestickung vierundzwanzigsieben und angehängten „Pflegehinweisen“. Dieses Statement lässt sich direkt auf die Situation der Care-Migrant*innen, aber auch auf andere Lebensbereiche beziehen, in denen Sorgearbeit geleistet wird – generell sind wir der Ansicht, dass vierundzwanzigsieben in keinem Arbeitsbereich den Standard setzen sollte. Jeglicher Gewinn durch die Einnahmen der fair und ökologisch produzierten T-Shirts fließt in die kurz- und langfristige Finanzierung der Arbeitsgarderobe für Care-Migrant*innen.

caredrobe Pflegehinweise

Inzwischen ist es Herbst geworden. Das Semester ist abgeschlossen und somit eigentlich auch das Semesterprojekt – nicht aber für uns. Noch fühlt es sich falsch an, sich im kommenden Semester mit einem neuen Thema zu beschäftigen und wir wissen, dass das Thema Pflege und insbesondere die Situation der Care-Migrant*innen für uns noch lange nicht abgeschlossen sind. Wir sind überzeugt, dass eine Arbeitsgarderobe die Situation von Care-Migrant*innen in der häuslichen Pflege tatsächlich verändern kann.

So hoffen wir, dass uns gelingt, was wir uns für die ganze Gesellschaft wünschen: Eine fortwährende Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen von Pflege- und Sorgearbeit als weiterer wichtiger Schritt für mehr Sichtbarkeit und Anerkennung derjenigen, die Pflegearbeit leisten. Denn gute und faire Pflegebedingungen gehen uns alle etwas an – und zwar schon lange bevor wir selbst oder unsere Angehörigen auf Pflege angewiesen sind.

Bis zum 03.11.20 läuft ihre Crowdfunding-Kampagne: startnext.com/caredrobe zur Finanzierung des Projekts. Weiteres auf caredrobe.de oder Instagram (@caredrobe).

caredrobe-Team
caredrobe bei startnext

Zu den Autorinnen:

Emmelie Althaus, Anna Eckl und Leonie Matt sind Studentinnen des Masterstudiengangs Transformation Design an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Über ein gemeinsames Semesterprojekt sind sie zum Thema Pflege gekommen, seither führen sie ihr Projekt zur Verbesserung der Situation von Care-Migrant*innen in der häuslichen Pflege eigenständig fort.

caredrobe bei startnext

Quellen:

Bomert, C. (2020). Transnationale Care-Arbeiterinnen in der 24-Stunden-Betreuung. Zwischen öffentlicher (Un-)Sichtbarkeit und institutioneller (De-)Adressierung. Wiesbaden: Springer VS.

Findeli, A., Brouillet, D., Martin, S., Moineau, C., & Tarrago, R. (2008). Research through design and transdisciplinarity: A tentative contribution to the methodology of design research. Focused-Current design research projects and methods, 67-94.

Frayling, C. (1993). Research in Art and Design. Royal College of Art Research Papers, 1 (1).

Jonas, W. (2006). Research through DESIGN through research – a problem statement and a conceptual sketch. Paper presented at the Design Research Society International Conference, Lissabon.

Schilliger, S. (2016). Arbeitsstandards in der 24h-Betreuung. Zwischen marktwirtschaftlicher Vetragslogik und Logik der häuslichen Sphäre. In: Zeitschrift Pflegerecht – Pflegewissenschaft, 3. Bern: Stämpfli Verlag, 166-169.

Film: Family Business (2015). Büchner Filmproduktion.