Gastbeitrag von Zuhal Yeşilyurt Gündüz

 

Ein Gespräch unter Bezirksgouverneur*innen in Ankara im Mai 2018. Die einzige Frau unter ihnen berichtet stolz darüber, wie gut sie neben ihrer schwierigen und verantwortungsvollen Arbeit für ihr Kind sorgt, selbst kocht und ihr Haus alleine putzt und reinigt. Nie nehme sie Hilfe in Anspruch, sie schaffe das alles alleine! Keiner der Männer im Raum erzählt über ähnliche Erfahrungen. Warum hatte diese junge, gebildete, erfolgreiche Frau das Bedürfnis, darüber zu erzählen, dass sie sowohl in ihrer Arbeit als Bezirksgouverneurin als auch als Ehefrau und Mutter so viel tut und trotz ihrer zeitaufwendigen Arbeit weder Kind noch Haushalt „vernachlässigt“? Warum hatte keiner der Männer das gleiche Bedürfnis?

Weder Bildung noch Position verändern wirklich die sozialen Erwartungen der Gesellschaft, der ‚Anderen‘, aber auch der Frauen selbst. Diese Erwartungen sind größtenteils patriarchalisch und zwingen auch respektierte Frauen in anspruchsvollen Berufen dazu, sich zu rechtfertigen und zu beweisen, dass sie „gute Mütter“ sind. Im Türkischen gibt es sogar einen eigenen Ausdruck dafür: „Evimin kadını olmak“, was so viel bedeutet wie „die Frau meines Hauses sein“. Hiermit wird das Haus (privat) als der Ort gepriesen, an dem die Frau sein sollte und sein will. Und als „Frau ihres Hauses“ obliegt ihr nun (fast) die gesamte Care-Arbeit – sowohl die praktische Arbeit im Haushalt, also kochen, waschen, putzen etc., als auch die emotionale Care-Arbeit, das sich Kümmern um und Sorgen für Kinder, kranke und ältere Menschen.

Genau dies ist auch das Bild, das in der Werbung vermittelt wird. Einer Untersuchung der Plattform für ‚Gendergleichheit in der Werbung‘ und der Bahçeşehir-Universität zufolge werden in der Werbung weiterhin konventionelle Geschlechterrollen als Rollenmodelle gezeigt. So werden Frauen in der Werbung zu über 80 Prozent in Care-Tätigkeiten dagestellt: Frauen, die wie selbstverständlich und sehr glücklich ihre Häuser reinigen, putzen, Wäsche waschen, kochen … wenn Männer in der Werbung in Care-Rollen gezeigt werden, dann kümmern sie sich liebevoll um die Kinder, indem sie mit ihnen spielen oder gemeinsam essen, während Frauen „das bisschen Haushalt“ lächelnd und gekonnt erledigen.

Care-Arbeit in Pandemiezeiten

Waren Leben und Alltag für Frauen in der zunehmend konservativeren Türkei schon schwer genug, verschlimmert sich die Situation durch die Coronavirus-Pandemie zunehmend. Angaben der Frauenarbeits- und Beschäftigungsinitiative zufolge erhöhte sich die bezahlte, unterbezahlte und unbezahlte Arbeitszeit von Frauen, die weiterhin zu Hause und/oder außer Haus arbeiten, auf ein kaum mehr ertragbares Niveau. Zu den wichtigsten wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie für Frauen zählte die von Mitte März bis zum Ende des Schuljahres im Juni 2020 andauernde Schließung der Schulen zum Schutz der über 18 Millionen Schülerinnen und 1 Million Lehrerinnen und der daraufhin beginnende Online-Unterricht. Fast zeitgleich begann auch eine Ausgangssperre für alle vor dem 01. Januar 2000 geborenen Kinder und Jugendlichen. Seit dem 23. November sind die Schulen in der Türkei wieder geschlossen (Stand Juni 2021).

Wer sich um die 25,5 Millionen jungen Menschen kümmert – und das 24 Stunden am Tag, darüber wurde kaum ein Gedanke verschwendet. Die Mehrarbeit wurde einfach und unausgesprochen den Frauen überlassen. So lag sowohl die akademische Betreuung der Kinder, die nun nicht mehr in ihren Halbtags- oder Ganztagsschulen waren, fast allein auf den Schultern der Frauen, die lernen mussten, mit Zoom und Teams umzugehen, als auch die moralische und psychologische Betreuung, da die Kinder Angst vor dem Coronavirus und der Krankheit hatten, nicht mehr draußen spielen durften, ihre Freunde und Schule vermissten.

Durch die Angst vor einer möglichen Ansteckung mit dem Coronavirus wurde es zunehmend schwierig bis unmöglich, Dienstleistungen von außerhalb des Hauses zu beziehen, wie zum Beispiel Haushaltshilfen oder die Bestellung von Mahlzeiten in Restaurants etc. Konnten viele Frauen vor der Pandemie auf ihrem Nachhauseweg schnell noch ein Abendessen von einem Restaurant besorgen oder ihre Wohnungen professionell reinigen lassen (eine Arbeit, die wiederum hauptsächlich Frauen erbringen), und somit ihre Care-Arbeit ein wenig verringern und diese Zeit besser nutzen, fiel all dies fast völlig aus. Dazu kam der vermehrte Bedarf an Essen, waren doch nun alle ständig zu Hause und irgendwie immer hungrig.

Eine weitere Auswirkung war die Erhöhung der zu befolgenden Hygienestandards, das Bedürfnis ständig alles zu desinfizieren und blitzblank zu halten und die damit verbundene vermehrte praktische Care-Arbeit. Dazu kommt die ständige Belastung und Sorge, dass eine Person zu Hause erkrankt und Pflege braucht. Und schließlich die durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit bedingte zunehmende Verarmung und sogar offene Armut, die insbesondere Frauen traf. Entlassungen, Kurzarbeitslöhne, nicht oder sehr spät gezahlte Löhne waren eher die Regel als die Ausnahme seit Beginn der Pandemie in der Türkei im März 2020. Mit der Verringerung des teilweise sowieso geringen Haushaltseinkommens in Tausenden von Familien mussten Frauen vermehrt Lösungen aus dieser Misere finden.

Care-Arbeit neu verteilen!

Eine von der UNDP unterstützte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Konda unter 2407 Menschen am 18. und 19. Mai 2020, die von İpek İlkkaracan und Emel Memiş ausgewertet wurde, hat ergeben, dass Frauen zu Pandemiezeiten viermal soviel Care-Arbeit leisten wie Männer. Gleichzeitig wurde auch deutlich, dass Männer während der Pandemie 5 Mal so viel Zeit für Care aufwandten wie zuvor. Eine Untersuchung der Vereinigten Metallarbeitergewerkschaft machte auf die Zunahme der unbezahlten Care-Arbeit von Frauen während der Pandemie aufmerksam. Im Mai 2020 (Quarantänezeiten) mussten Frauen mehr als 2 Stunden (2.1) mehr Care-Arbeit leisten als im April 2018, während der Anstieg bei Männern bei weniger als 1 Stunde (0.8) lag. Die unsichtbare, unbezahlte, unterbewertete, aber lebensnotwendige Care-Arbeit wird, so der Bericht, systematisch ausgenutzt und entwertet. Dieses arbeitsintensive Feld müsste als bezahlte Beschäftigung anerkannt werden, um eine tatsächliche Geschlechtergleichheit erreichen zu können.

Der Bericht unterstreicht auch dass es außergewöhnlicher Anstrengungen bedarf, um aus außergewöhnlichen Zeiten herauszukommen. Die genderspezifische Verteilung dieser Anstrengungen muss jedoch ebenfalls gleich sein. Zwar ist es positiv zu bewerten, dass sich Männer während der Pandemie stärker in die Haus- und Care-Arbeit einbringen zunahm, allerdings wuchs der Zeitaufwand der Frauen sehr viel stärker an, was letztlich zu einer Verstärkung der Ungleichheit führte. Dennoch zeigt sich hier das Potenzial, die genderspezifische Verteilung der Care-Arbeit langfristig und nachhaltig zu verändern. Dafür ist es wichtig, die Gendergleichstellung zu gewährleisten, Frauen und Männer in allen Lebensbereichen als gleichberechtigte Bürger zu sehen und die Gleichstellung bei der Ausübung der Rechte zu gewährleisten. Um Gendergleichheit in der Türkei zu gewährleisten, sind alle Organisationen, von staatlichen Institutionen bis hin zu Gewerkschaften, politischen Parteien, Berufsverbänden und Nichtregierungsorganisationen, verpflichtet dazu beizutragen. Dafür bedarf es eines weitgehenden wirtschaftlichen Transformationsprogramms, das sich auf den Care-Sektor konzentriert und die Gendergleichstellung in der Care-Arbeit gewährleistet.

Prof. Dr. Zuhal Yeşilyurt Gündüz

geb. 1970, Studium der Politikwissenschaft, Amerikanistik und Islamwissenschaft an der Universität Bonn; seit 2015 Professorin an der TED Universität Ankara.

zuhal.gunduz@tedu.edu.tr