Im Herzen des Equal Care Days 2020 lag Bonn, mit seinen drei großen Veranstaltungen. Am 28. und 29. Februar versammelten sich Akteur*innen aus verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen, um über die mangelnde Wertschätzung von Care-Arbeit zu informieren, zu diskutieren und Lösungsansätze zu entwickeln. Fachexpert*innen aus Wissenschaft, Politik und NGO’s, Menschen, die selbst pflegen, zu Hause oder im Beruf, Menschen, die gepflegt werden oder wurden, Menschen aus der freien Wirtschaft und solche, die „einfach mal besser hinhören“ wollten. Menschen, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigen und solche, denen erst allmählich das Ausmaß und die Zusammenhänge bewusst werden. Ein großer Teil fiel dabei gleichzeitig in mehrere Kategorien, auch wenn dies dem einen oder der anderen vielleicht erst im Laufe der Veranstaltungen auffiel. Und genau hier liegt der Kern der Sache: Care ist überall, ohne Care funktioniert rein gar nichts. Im Laufe unseres Lebens erleben wir alle Care-Arbeit aus so verschiedenen Perspektiven. Und dennoch nehmen wir sie kaum wahr.
Nicht so am Equal Care Day! Gemeinsam wurde jede Care-Faser freigelegt, benannt, beleuchtet, in Kontexte gesetzt: von der Wiege bis ins Grab, über Staats- und Schichtgrenzen hinweg.
Und jedes Puzzleteil leistete seinen eigenen deutlichen Beitrag zu einem Bild, das in seiner Gesamtheit und ausbuchstabierten Klarheit selbst für die Informiertesten spürbar etwas Erschreckendes, Erdrückendes, ja, etwas Überwältigendes hatte: Die Care-Krise ist immens. Unser derzeitiges Verständnis von Wirtschaftlichkeit ist so tief in unserem Denken verankert und hat derart verheerende Folgen für die soziale Ungleichheit zwischen Menschen, die Care-Arbeit leisten, und solchen, die es nicht tun, dass es eine Mammutaufgabe ist, Maßnahmen zur Überwindung zu finden. Und, mehr noch, zunächst überhaupt ein breites gesellschaftliches Verständnis dafür herzustellen, dass dies keine Naturgesetzmäßigkeiten sind. Es sind Strukturen, die systematisch bestimmte Menschengruppen in ihren Möglichkeiten massiv einschränken. Strukturen, die wir Menschen selbst geschaffen haben. Und die wir ebenso in der Lage sind, wieder zu ändern!
Bei all der Frustration und Überwältigung, die immer wieder in den Vorträgen, Kaffeegesprächen und Workshops aufflammten, war dies alles andere als die dominierende Stimmung. Vielmehr fühlte es sich durchweg nach … vertrauter und entspannender Gemeinsamkeit an. Nach Zuversicht, hier in seinen Anliegen aufrichtiges Gehör zu finden und es in Initiative überführt zu sehen, am richtigen Platz zu sein, mitgenommen zu werden und am Ende nicht (wieder) allein zu sein. Denn viele Hände haben sich nach einander ausgestreckt, Brücken sind entstanden, Netze wurden gespannt und gefestigt. Zweifel mussten immer wieder unweigerlich einer umsichtigen aber bestimmten Aufbruchsstimmung weichen, und dem Lachen, Feiern, Spaß haben und Genießen. Denn die Veranstaltungen haben nicht nur Politik, Wirtschaft und Gesellschaft um Care-Arbeit herum angeordnet. Poetry Slam, Life-Zeichnungen, Stand-up Comedy und Beatboxing haben bewiesen, dass Care-Arbeit in die Mitte von Kunst und Kultur passt, dort hingehört, wo sie auf weiteren Ebenen erreicht, berührt und repräsentiert.
Nicht nur in Bonn, auch in vielen anderen Städten fanden Veranstaltungen anlässlich des Equal Care Day statt. In Bremen haben wir ein sehr ähnliches Programm im Miniformat gestaltet. Integrativ und partizipativ. Fachvorträgen mit wissenschaftlichem, gewerkschaftlichem, regionalpolitischem und pädagogischem Blickwinkel auf die aktuelle Care-Situation folgte ein Open Space mit kleineren, intensiven Diskussionsrunden. Die dokumentierten Ergebnisse wurden abschließend gemeinsam besprochen. Es entstand ein Bremer-Manifest in sechs Punkten, welches in das Gesamt-ECD-Manifest mit übergeht. Diese umfassen ein gesellschaftliches Umdenken sowie sozial-, familien- und arbeitsmarktpolitische Interventionen. Und sehr zentral auch die Bedeutung von Instrumenten und Initiativen zum Aufbrechen traditioneller Geschlechternormen und -stereotype, welche in allen Diskussionsgruppen als maßgebliche Hinderungsfaktoren identifiziert wurden.
Auch am Ende der Bremer Veranstaltung stand viel Dankbarkeit für das Angehen des Themas sowie neue, in die Zukunft weisende Verbindungen. Den ECD in Bonn wie auch in Bremen erlebt zu haben, bedeutet für mich eine zusätzliche wertvolle Erkenntnis: Die stärkende Dynamik, die das vielfältige Miteinander rund um die gemeinsame Komponente Care entwickelt hat, war nicht zufällig, nicht räumlich oder zeitlich begrenzt. Sie ist wiederholbar, ausweitbar.
Der Equal Care Day hat zwei Dinge gezeigt: 1. Ja, die Care-Krise ist da, schon viel zu lange. Wege heraus gibt es nur gemeinsam. Und 2. Das braucht keine Utopie bleiben. Das Gemeinsame hat begonnen. Der Equal Care Samen, den Almut Schnerring und Sascha Verlan vor fünf Jahren gepflanzt haben, ist mittlerweile zu einem reellen, kräftigen Trieb mit tiefen Wurzeln gewachsen. Er verbindet bereits viele und immer mehr, die ihn ihrerseits weiter pflegen wollen. Und viel Hoffnung darin setzen, dass die Zukunft so sehr da ist, wie es sich in der gemeinsamen Zeit angefühlt hat. Lasst uns diese Herausforderung und Verantwortung annehmen. Gemeinsam (!) lauter und wirkmächtig werden in einem Thema, zu dem alle Fakten auf dem Tisch liegen. Seit Jahrzehnten sprechen Einzelne sie aus und werden doch nicht gehört. Das ECD-Netz ist jetzt eine neue Chance. Nur wenn wir das zusammen machen, wird es groß – und kann dann auch endlich bewegen!
Am 29. Februar war Equal Care Day. Dabei sollte doch jeden Tag Equal Care Day sein! Wir sollten jeden Tag reflektieren, wie viel Care um uns herum geleistet wird und wir selbst leisten, welche Konsequenzen damit verbunden sind. Und während wir mit Spannung darauf blicken, wie im Mai unser Manifest in die Bundespolitik getragen wird, können wir die Zeit nutzen und mit unseren Kindern wertschätzend über diese Tätigkeiten sprechen. Anlässe wahrnehmen und mit dem Umfeld in einen fürsorglichen Dialog treten, immer mit auch selbst offenen Ohren, auf Augenhöhe, mit Verständnis, aber auch Mut und Entschlossenheit. Entschlossen, dass wir alle über die ECD-Initiative weiter im Austausch bleiben, wachsen, sodass wir am Ende diesen Tag und auch die anderen Projekte von klische*esc zufrieden einstellen können. Oder vielleicht besser noch: Den Equal Care Day weiterhin begehen, aber dann zum Gedenken daran, welch große Errungenschaft die angemessene Wertschätzung von Care ist!
Dr. Sonja Bastin
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum ‚Ungleichheit und Sozialpolitik‘ (Uni Bremen) in der Arbeitsgruppe ‚Lebenslauf, Familie und Arbeit‘ sowie aktives Mitglied im Verein klische*esc e.V.
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